Erwartungswerte und Momente

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Momentenberechnung als Scharmittelwert


Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (WDF) bietet ebenso wie die Verteilungsfunktion (VTF) sehr weitreichende Informationen über die betrachtete Zufallsgröße. Weniger, aber dafür kompaktere Informationen liefern die so genannten Erwartungswerte und Momente.

  • Deren Berechnungsmöglichkeiten wurden für diskrete Zufallsgrößen bereits im Kapitel Momente einer diskreten Zufallsgröße angegeben.
  • Nun werden diese integrativen Beschreibungsgrößen „Erwartungswert” und „Moment” im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (WDF) kontinuierlicher Zufallsgrößen betrachtet und dadurch allgemeiner formuliert.


$\text{Definition:}$  Der Erwartungswert bezüglich einer beliebigen Gewichtungsfunktion $g(x)$ kann mit der WDF $f_{\rm x}(x)$ in folgender Weise berechnet werden:

$${\rm E}\big[g (x ) \big] = \int_{-\infty}^{+\infty} g(x)\cdot f_{x}(x) \,{\rm d}x.$$

Setzt man in diese Gleichung für $g(x) = x^k$ ein, so erhält man das Moment $k$-ter Ordnung:

$$m_k = {\rm E}\big[x^k \big] = \int_{-\infty}^{+\infty} x^k\cdot f_{x} (x ) \, {\rm d}x.$$


Aus dieser Gleichung folgt

  • mit $k = 1$ für den linearen Mittelwert:
$$m_1 = {\rm E}\big[x \big] = \int_{-\infty}^{ \rm +\infty} x\cdot f_{x} (x ) \,{\rm d}x,$$
  • mit $k = 2$ für den quadratischen Mittelwert:
$$m_2 = {\rm E}\big[x^{\rm 2} \big] = \int_{-\infty}^{ \rm +\infty} x^{ 2}\cdot f_{ x} (x) \,{\rm d}x.$$

Bei einer diskreten, $M$–stufigen Zufallsgröße erhält man auch mit den hier angegebenen Formeln wieder die bereits im zweiten Kapitel angegebenen Gleichungen (Berechnung als Scharmittelwert):

$$m_1 = \sum\limits_{\mu=1}^{ M}\hspace{0.15cm}p_\mu\cdot x_\mu,\hspace{0.5cm} m_2 = \sum\limits_{\mu= 1}^{ M}\hspace{0.15cm}p_\mu\cdot x_\mu^2.$$

Hierbei ist berücksichtigt, dass das Integral über die Diracfunktion $δ(x)$ gleich $1$ ist.

In Zusammenhang mit Signalen sind auch folgende Bezeichnungen üblich:

  • $m_1$ gibt den Gleichanteil  an,
  • $m_2$ entspricht der (auf den Einheitswiderstand $1 \ Ω$ bezogenen) Signalleistung.


Bezeichnet $x$ beispielsweise eine Spannung, so hat nach diesen Gleichungen $m_1$ die Einheit ${\rm V}$ und $m_2$ die Einheit ${\rm V}^2.$ Will man die Leistung in „Watt” $\rm (W)$ angeben, so muss $m_2$ noch durch den Widerstandswert $R$ dividiert werden.

Zentralmomente


$\text{Definition:}$  Besonders große Bedeutung haben in der Statistik die Zentralmomente, die im Gegensatz zu den herkömmlichen Momenten jeweils auf den Mittelwert $m_1$ bezogen sind:

$$\mu_k = {\rm E}\big[(x-m_{\rm 1})^k\big] = \int_{-\infty}^{+\infty} (x-m_{\rm 1})^k\cdot f_x(x) \,\rm d \it x.$$


Die nichtzentrierten Momente $m_k$ kann man direkt in die zentrierten Momente $\mu_k$ umrechnen:

$$\mu_k = \sum\limits_{\kappa= 0}^{k} \left( \begin{array}{*{2}{c}} k \\ \kappa \\ \end{array} \right)\cdot m_\kappa \cdot (-m_1)^{k-\kappa}.$$

Nach den allgemein gültigen Gleichungen der letzten Seite ergeben sich die formalen Größen $m_0 = 1$ und $\mu_0 = 1$. Für das Zentralmoment erster Ordnung gilt nach obiger Definition stets $\mu_1 = 0$.

In der Gegenrichtung gelten folgende Gleichungen für $k = 1$, $k = 2$, usw.:

$$m_k = \sum\limits_{\kappa= 0}^{k} \left( \begin{array}{*{2}{c}} k \\ \kappa \\ \end{array} \right)\cdot \mu_\kappa \cdot {m_1}^{k-\kappa}.$$

$\text{Beispiel 1:}$  Alle Momente einer binären Zufallsgröße mit den Wahrscheinlichkeiten ${\rm Pr}(0) = 1 – p$  und  ${\rm Pr}(1) = p$  sind gleich groß:

$$m_1 = m_2 = m_3 = m_4 = \hspace{0.05cm}\text{...} \hspace{0.05cm}= p.$$

Mit obigen Gleichungen erhält man dann für die ersten drei Zentralmomente:

$$\mu_2 = m_2 - m_1^2 = p -p^2, $$
$$\mu_3 = m_3 - 3 \cdot m_2 \cdot m_1 + 2 \cdot m_1^3 = p - 3 \cdot p^2 + 2 \cdot p^3, $$
$$ \mu_4 = m_4 - 4 \cdot m_3 \cdot m_1 + 6 \cdot m_2 \cdot m_1^2 - 3 \cdot m_1^4 = p - 4 \cdot p^2 + 6 \cdot p^3- 3 \cdot p^4. $$

Einige häufig benutzte Zentralmomente


Aus der letzten Definition können folgende weitere Kenngrößen abgeleitet werden:

$\text{Definition:}$  Die Varianz $σ^2$ der betrachteten Zufallsgröße ist das Zentralmoment zweiter Ordnung   ⇒   $\mu_2.$

  • Die Varianz $σ^2$ entspricht physikalisch der Wechselleistung  und die Streuung $σ$ gibt den Effektivwert  an.
  • Aus dem linearen und dem quadratischen Mittelwert ist die Varianz nach dem Satz von Steiner  in folgender Weise berechenbar:
$$\sigma^{2} = m_2 - m_1^{2}.$$


$\text{Definition:}$  Die Charliersche Schiefe $S$ bezeichnet das auf $σ^3$ bezogene dritte Zentralmoment.

  • Bei symmetrischer Dichtefunktion ist diese Kenngröße immer $S=0$.
  • Je größer $S = \mu_3/σ^3$ ist, um so unsymmetrischer verläuft die WDF um den Mittelwert $m_1$.
  • Beispielsweise ergibt sich für die Exponentialverteilung die Schiefe $S =2$, und zwar unabhängig vom Verteilungsparameter $λ$.


$\text{Definition:}$  Auch das Zentralmoment vierter Ordnung spielt für die Analyse statistischer Größen eine Rolle. Als Kurtosis bezeichnet man den Quotienten $K = \mu_4/σ^4.$

  • Bei einer gaußverteilten Zufallsgröße ergibt sich hierfür immer der Wert $K = 3$.
  • Anhand dieser Kenngröße kann man beispielsweise überprüfen, ob eine vorliegende Zufallsgröße tatsächlich gaußisch ist.


$\text{Beispiel 2:}$ 

  • Weist die WDF weniger Ausläufer auf als die Gaußverteilung, so ist die Kurtosis $K < 3$. Zum Beispiel gilt für die Gleichverteilung $K = 1.8$.
  • Dagegen weist $K > 3$ darauf hin, dass die Ausläufer ausgeprägter als bei der Gaußverteilung sind. Für die Laplaceverteilung ⇒ zweiseitige Exponentialverteilung ergibt sich beispielsweise der Wert $K = 6$.

Momentenberechnung als Zeitmittelwert


Die Erwartungswertberechnung nach den bisherigen Gleichungen dieses Abschnitts entspricht einer Scharmittelung, das heißt einer Mittelung über alle möglichen Werte $x_\mu$.

Die Momente $m_k$ können aber auch als Zeitmittelwerte bestimmt werden, wenn der die Zufallsgröße erzeugende stochastische Prozess stationär und ergodisch ist:

  • Die genaue Definition für einen solchen Zufallsprozess finden Sie in Kapitel 4.4.
  • Eine Zeitmittelung wird im Folgenden stets durch eine überstreichende Linie gekennzeichnet.
  • Bei zeitdiskreter Betrachtung wird das Zufallssignal $x(t)$ durch die Zufallsfolge $〈x_ν〉$ ersetzt.
  • Bei endlicher Folgenlänge lauten diese Zeitmittelwerte mit $ν = 1, 2,\hspace{0.05cm}\text{...}\hspace{0.05cm} , N$:
$$m_k=\overline{x_{\nu}^{k}}=\frac{1}{N} \cdot \sum\limits_{\nu=1}^{N}x_{\nu}^{k},$$
$$m_1=\overline{x_{\nu}}=\frac{1}{N} \cdot \sum\limits_{\nu=1}^{N}x_{\nu},$$
$$m_2=\overline{x_{\nu}^{2}}=\frac{1}{N} \cdot \sum\limits_{\nu=1}^{N}x_{\nu}^{2}.$$

Sollen die Momente (oder Erwartungswerte) per Simulation bestimmt werden, so geschieht dies in der Praxis meist durch Zeitmittelung. Der entsprechende Berechnungsalgorithmus unterscheidet sich bei diskreten und kontinuierlichen Zufallsgrößen nur mariginal.

Die in diesem Abschnitt behandelte Thematik ist im Lernvideo Momentenberechnung bei diskreten Zufallsgrößen zusammengefasst.


Charakteristische Funktion


$\text{Definition:}$  Ein weiterer Sonderfall eines Erwartungswertes ist die charakteristische Funktion, wobei hier für die Bewertungsfunktion $g(x) = {\rm e}^{\hspace{0.03cm}{\rm j} \hspace{0.03cm}{\it Ω}\hspace{0.05cm}x}$ zu setzen ist:

$$C_x({\it \Omega}) = {\rm E}\big[{\rm e}^{ {\rm j} \hspace{0.05cm} {\it \Omega} \hspace{0.05cm} x}\big] = \int_{-\infty}^{+\infty} {\rm e}^{ {\rm j} \hspace{0.05cm} {\it \Omega} \hspace{0.05cm} x}\cdot f_{\rm x}(x) \hspace{0.1cm}{\rm d}x.$$

Ein Vergleich mit dem Kapitel Fouriertransformation und Fourierrücktransformation im Buch „Signaldarstellung” zeigt, dass die charakteristische Funktion als die Fourierrücktransformierte der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion interpretiert werden kann:

$$C_x ({\it \Omega}) \hspace{0.3cm} \circ \!\!-\!\!\!-\!\!\!-\!\! \bullet \hspace{0.3cm} f_{x}(x).$$


Ist die Zufallsgröße $x$ dimensionslos, so ist auch das Argument $\it Ω$ der charakteristischen Funktion ohne Einheit.

  • Das Symbol $\it Ω$ wurde gewählt, da das Argument hier einen gewissen Bezug zur Kreisfrequenz beim zweiten Fourierintegral aufweist (gegenüber der Darstellung im $f$–Bereich fehlt allerdings der Faktor $2\pi$ im Exponenten).
  • Es wird aber nochmals eindringlich darauf hingewiesen, dass – wenn man einen Bezug zur Systemtheorie herstellen will – $C_x({\it Ω})$ der „Zeitfunktion” und $f_{x}(x)$ der „Spektralfunktion” entsprechen würde.


$\text{Berechnungsmöglichkeit:}$  Entwickelt man die komplexe Funktion ${\rm e}^{\hspace{0.03cm}{\rm j} \hspace{0.03cm}{\it Ω}\hspace{0.05cm}x}$ in eine Potenzreihe und vertauscht Erwartungswertbildung und Summation, so folgt die Reihendarstellung der charakteristischen Funktion:

$$C_x ( {\it \Omega}) = 1 + \sum_{k=1}^{\infty}\hspace{0.2cm}\frac{m_k}{k!} \cdot ({\rm j} \hspace{0.01cm}{\it \Omega})^k .$$

Die Aufgabe 3.4 zeigt weitere Eigenschaften der charakteristischen Funktion auf.


$\text{Beispiel 3:}$ 

  • Bei einer symmetrischen binären (zweipunktverteilten) Zufallsgröße $x ∈ \{\pm1\}$ mit den Wahrscheinlichkeiten ${\rm Pr}(–1) = {\rm Pr}(+1) = 1/2$ verläuft die charakteristische Funktion cosinusförmig.
  • Das Analogon in der Systemtheorie ist, dass das Spektrum eines Cosinussignals mit der Kreisfrequenz ${\it Ω}_{\hspace{0.03cm}0}$ aus zwei Diracfunktionen bei $±{\it Ω}_{\hspace{0.03cm}0}$ besteht.


$\text{Beispiel 4:}$ 

$$C_y({\it \Omega}) = \frac{1}{2 y_0} \cdot \int_{-y_0}^{+y_0} {\rm e}^{ {\rm j} \hspace{0.05cm} {\it \Omega} \hspace{0.05cm} y} \,{\rm d}y = \frac{ {\rm e}^{ {\rm j} \hspace{0.05cm} y_0 \hspace{0.05cm}{\it \Omega} } - {\rm e}^{ - {\rm j} \hspace{0.05cm} y_0 \hspace{0.05cm} {\it \Omega} } }{2 {\rm j} \cdot y_0 \cdot {\it \Omega} } = \frac{ {\rm sin}(y_0 \cdot {\it \Omega})}{ y_0 \cdot {\it \Omega} } = {\rm si}(y_0 \cdot {\it \Omega}). $$
  • Die Funktion ${\rm si}(x) = \sin(x)/x$ kennen wir bereits aus dem Buch Signaldarstellung.
  • Sie ist auch unter dem Namen Spaltfunktion bekannt.

Aufgaben zum Kapitel


Aufgabe 3.3: Momente bei $\cos^2$–WDF

Aufgabe 3.3Z: Momente bei Dreieck–WDF

Aufgabe 3.4: Charakteristische Funktion