Lineare zeitinvariante Systeme/Laplace–Rücktransformation: Unterschied zwischen den Versionen

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==Ersatzschaltbild eines kurzen Leitungsabschnitts (1)==
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==Problemstellung und Voraussetzungen==
Zur Herleitung der Leitungsgleichungen wird zunächst ein sehr kurzer Leitungsabschnitt der Länge $dx$ betrachtet, so dass sich die Werte für Spannung und Strom am Leitungsanfang $(U$ bzw. $I$ bei $x)$ und am Leitungsende $(U + dU$ sowie $I + dI$ bei $x + dx)$ nur geringfügig unterscheiden. Die Grafik zeigt das zugrundeliegende Modell.
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{{BlaueBox|TEXT=
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$\text{Aufgabenstellung:}$&nbsp; Dieses Kapitel behandelt das folgende Problem:
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*Bekannt ist die&nbsp; $p$–Spektralfunktion&nbsp; $Y_{\rm L}(p)$&nbsp; in der Pol–Nullstellen–Form.
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*Gesucht ist die&nbsp; '''Laplace–Rücktransformierte''', also die dazugehörige Zeitfunktion&nbsp; $y(t)$, wobei folgende Notation gelten soll:
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:$$y(t) = {\rm L}^{-1}\{Y_{\rm L}(p)\}\hspace{0.05cm} , \hspace{0.3cm}{\rm kurz}\hspace{0.3cm}
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y(t) \quad \circ\!\!-\!\!\!-^{\hspace{-0.25cm}\rm L}\!\!\!-\!\!\bullet\quad Y_{\rm L}(p)\hspace{0.05cm} .$$}}
  
[[Datei:P_ID1792__LZI_T_4_1_S1_neu.png | Ersatzschaltbild eines kurzen Leitungsabschnitts]]
 
  
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In der Grafik sind die Voraussetzungen für diese Aufgabenstellung zusammengestellt.
  
Anders ausgedrückt: Die Leitungslänge $dx$ sei sehr klein gegenüber der Wellenlänge der sich entlang der Leitung ausbreitenden elektromagnetischen Welle, die sich ergibt, da
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[[Datei:P_ID1770__LZI_T_3_3_S1_neu.png |right|frame| Voraussetzungen für das Kapitel &bdquo;Laplace–Rücktransformation&rdquo;]]
*mit dem Strom ein magnetisches Feld verbunden ist,
 
*die Spannung zwischen den Leitern ein elektrisches Feld bewirkt.  
 
  
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*$H_{\rm L}(p)$&nbsp; beschreibt das kausale Übertragungssystem und &nbsp;$Y_{\rm L}(p)$&nbsp; gibt die Laplace–Transformierte des Ausgangssignals &nbsp;$y(t)$&nbsp; unter Berücksichtigung des Eingangssignals &nbsp;$x(t)$&nbsp; an. &nbsp;$Y_{\rm L}(p)$&nbsp; ist gekennzeichnet durch &nbsp;$N$&nbsp; Pole, durch &nbsp;$Z ≤ N$&nbsp; Nullstellen sowie durch die Konstante &nbsp;$K.$
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*Die Pole und Nullstellen zeigen die im&nbsp; [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Laplace–Transformation_und_p–Übertragungsfunktion#Eigenschaften_der_Pole_und_Nullstellen|letzten Kapitel]]&nbsp;  genannten Eigenschaften: &nbsp; Pole dürfen nur in der linken &nbsp;$p$–Halbebene oder auf der imaginären Achse liegen, Nullstellen sind dagegen auch in der rechten &nbsp;$p$–Halbebene erlaubt.
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*Alle Singularitäten – dies ist der Oberbegriff für Pole und Nullstellen – sind entweder reell oder es treten Paare von konjugiert–komplexen Singularitäten auf.&nbsp; Mehrfache Pole und Nullstellen sind erlaubt.
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*Verwendet man das Eingangssignal &nbsp;$x(t) = δ(t)$ &nbsp; ⇒ &nbsp;$  X_{\rm L}(p) = 1 $ &nbsp; ⇒ &nbsp;$ Y_{\rm L}(p) = H_{\rm L}(p)$,&nbsp; so beschreibt &nbsp;$y(t)$&nbsp; die [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Systembeschreibung_im_Zeitbereich#Impulsantwort|Impulsantwort]]  &nbsp;$h(t)$&nbsp; des Übertragungssystems.&nbsp; Zur Berechnung dürfen hierfür nur die in der Grafik grün eingezeichneten Singularitäten herangezogen werden.
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*Eine Sprungfunktion &nbsp;$x(t) = γ(t) \ \  ⇒ \ \  X_{\rm L} = 1/p$&nbsp; am Eingang bewirkt, dass das Ausgangssignal &nbsp;$y(t)$&nbsp; gleich der &nbsp;[[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Systembeschreibung_im_Zeitbereich#Sprungantwort|Sprungantwort]] &nbsp; $σ(t)$ von $H_{\rm L}(p)$&nbsp; ist.&nbsp; Zur Berechnung ist neben den Singularitäten von &nbsp;$H_{\rm L}(p)$&nbsp; nun auch die (in der Grafik rot eingezeichnete) Polstelle bei &nbsp;$p = 0$&nbsp; zu berücksichtigen.
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*Als Eingang &nbsp;$x(t)$&nbsp; sind nur Signale möglich, für die &nbsp;$X_{ \rm L}(p)$&nbsp; in Pol–Nullstellen–Form darstellbar ist &nbsp; (siehe &nbsp;[[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Laplace–Transformation_und_p–Übertragungsfunktion#Einige_wichtige_Laplace.E2.80.93Korrespondenzen|Tabelle]]&nbsp;  im Kapitel &bdquo;Laplace–Transformation und $p$–Übertragungsfunktion&rdquo;),&nbsp; zum Beispiel ein zum Zeitpunkt &nbsp;$t = 0$&nbsp; eingeschaltetes Cosinus– oder Sinussignal.
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*Bei der hier beschriebenen Vorgehensweise ist also ein Rechteck  als Eingangssignal &nbsp;$x(t)\ \  ⇒ \ \ X_{\rm L}(p) = (1 - {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} T})/p$&nbsp; nicht möglich.&nbsp; Die Rechteckantwort &nbsp;$y(t)$&nbsp; kann aber als Differenz zweier Sprungantworten indirekt berechnet werden.
  
Alle infinitesimalen „Bauelemente” im oben skizzierten Ersatzschaltbild sind bei homogenen Leitungen ortsunabhängig:
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==Einige Ergebnisse der Funktionentheorie==
*Die Induktivität des betrachteten Leitungsabschnitts beträgt $L' · dx$, wobei man die auf die Länge $dx$ bezogene Größe als '''Induktivitätsbelag''' bezeichnet.
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*Ebenso ist der '''Kapazitätsbelag''' $C'$ eine infinitesimal kleine Größe, der ebenso wie $L'$ nur relativ wenig von der Frequenz abhängt.
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Im Gegensatz zu den&nbsp; [[Signaldarstellung/Fouriertransformation_und_-rücktransformation#Das_erste_Fourierintegral|Fourierintegralen]], die sich in den beiden Transformationsrichtungen nur geringfügig unterscheiden, ist bei &bdquo;Laplace&rdquo; die Berechnung von &nbsp;$y(t)$&nbsp; aus &nbsp;$Y_{\rm L}(p)$ – also die Rücktransformation –
*Der '''Ableitungsbelag''' $G'$ berücksichtigt die Verluste des Dielektrikums zwischen den Drähten. Er nimmt etwa proportional mit der Frequenz zu.
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*sehr viel schwieriger als die Berechnung von &nbsp;$Y_{\rm L}(p)$&nbsp; aus &nbsp;$y(t)$,
*Den weitaus größten Einfluss auf die Signalübertragung hat der Widerstandsbelag $R'$, der für hohe Frequenzen aufgrund des dann dominanten Skineffekts  nahezu proportional mit der Wurzel der Frequenz ansteigt.
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*auf elementarem Weg nicht oder nur sehr umständlich lösbar.
  
==Ersatzschaltbild eines kurzen Leitungsabschnitts (2)==
 
Aus den Maschen– und Knotengleichungen des Leitungsabschnitts ergeben sich mit $ω = 2πf$ die beiden Differenzengleichungen
 
$$ \begin{align*} U  & =  I \cdot (R' + {\rm j}  \cdot \omega  L') \cdot {\rm d}x + (U + {\rm d}U)\hspace{0.05cm},\\ I  & =  (U + {\rm d}U) \cdot (G' + {\rm j}  \cdot \omega  C') \cdot {\rm d}x + (I + {\rm d}I)\hspace{0.05cm} \end{align*}$$.
 
Für einen sehr kurzen Leitungsabschnitt (infinitesimal kleines $dx$) und bei Vernachlässigung der kleinen Größen zweiter Ordnung (zum Beispiel $dU · dx$) kann man nun zwei Differentialquotienten bilden, deren gemeinsame Betrachtung zu einer linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung führt:
 
$$\frac{ {\rm  d}U}{ {\rm  d}x}  =  - (R' + {\rm j}  \cdot \omega  L')  \cdot I,\hspace{0.5cm} \frac{ {\rm  d}I}{ {\rm  d}x}  =  - (G' + {\rm j}  \cdot \omega  C')
 
\cdot U$$
 
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}\frac{{\rm  d}^2U}{{\rm  d}x^2}  =  (R' + {\rm j}  \cdot \omega  L')  \cdot  (G' + {\rm j}  \cdot \omega  C')
 
\cdot U\hspace{0.05cm}.$$
 
Die Lösung dieser Differentialgleichung lautet:
 
$$U(x)  =  U_{\rightarrow}(x=0) \cdot  {\rm e}^{-\hspace{0.02cm}\gamma \hspace{0.03cm} \cdot \hspace{0.05cm}x}  + U_{\leftarrow}(x=0) \cdot  {\rm e}^{\gamma \hspace{0.03cm} \cdot \hspace{0.05cm}x}  \hspace{0.05cm}.$$
 
  
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{{BlaueBox|TEXT= 
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$\text{Definition:}$&nbsp;
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Allgemein gilt für die&nbsp; '''Laplace–Rücktransformation''':
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:$$y(t) = {\rm L}^{-1}\{Y_{\rm L}(p)\}= \lim_{\beta \hspace{0.05cm}\rightarrow \hspace{0.05cm}\infty}  \hspace{0.15cm} \frac{1}{ {\rm j} \cdot 2 \pi}\cdot    \int_{ \alpha - {\rm j} \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}2 \pi \beta } ^{\alpha+{\rm j}  \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}2 \pi \beta}  Y_{\rm L}(p) \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} t}\hspace{0.1cm}{\rm
 +
d}p \hspace{0.05cm} .$$
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*Die Integration erfolgt parallel zur imaginären Achse.
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*Der Realteil &nbsp;$α$&nbsp;  ist so zu wählen, dass alle Pole links vom Integrationsweg liegen.}}
  
Der Spannungsverlauf hängt außer vom Ort $x$ auch von der Frequenz $f$ ab, was hier nicht explizit vermerkt ist. Formelmäßig erfasst wird diese Frequenzabhängigkeit durch das Übertragungsmaß
 
$$\gamma(f)  =  \sqrt{(R' + {\rm j}  \cdot 2\pi f \cdot  L')  \cdot  (G' + {\rm j}  \cdot  2\pi f \cdot  C')} = \alpha (f) + {\rm j}  \cdot \beta (f)\hspace{0.05cm}.$$
 
  
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[[Datei:P_ID1777__LZI_T_3_3_S2_neu.png |right|frame| Linienintegral sowie linkes und rechtes Kreisintegral]]
  
Die beiden letzten Gleichungen beschreiben gemeinsam den Spannungsverlauf entlang der Leitung, der sich aus der Überlagerung einer in positiver $x$–Richtung laufenden Welle $U_→(x)$ und der Welle $U_←(x)$ in Gegenrichtung zusammensetzt.  
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Die linke Grafik verdeutlicht dieses Linienintegral entlang der rot gepunkteten Vertikalen &nbsp;${\rm Re}\{p\}= α$.&nbsp; Lösbar ist dieses Integral mit dem &nbsp;[https://de.wikipedia.org/wiki/Lemma_von_Jordan Jordanschen Lemma der Funktionstheorie].&nbsp; Hier folgt nur eine sehr kurze und einfache Zusammenfassung der Vorgehensweise:
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*Das Linienintegral kann in zwei Kreisintegrale aufgeteilt werden, wobei sämtliche Polstellen im linken Kreisintegral liegen, während das rechte Kreisintegral nur Nullstellen beinhalten darf.
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*Entsprechend der Funktionstheorie liefert das rechte Kreisintegral die Zeitfunktion &nbsp;$y(t)$&nbsp; für negative Zeiten. Aufgrund der Kausalität ist &nbsp;$y(t < 0) \equiv 0$,&nbsp; sein.&nbsp; Dies trifft aber nur dann zu, wenn es in der rechten &nbsp;$p$–Halbebene keine Pole gibt.
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*Das Integral über den linken Halbkreis liefert die Zeitfunktion für &nbsp;$t ≥ 0$. Dieses umschließt alle Pole und ist mit dem Residuensatz in (relativ) einfacher Weise berechenbar, wie auf den nächsten Seiten gezeigt wird.  
  
Der Realteil $α(f)$ des komplexen Übertragungsmaßes $γ(f)$ dämpft die sich ausbreitende Welle und wird daher Dämpfungsmaß genannt. Diese stets gerade Funktion  $⇒  α(–f) = α(f)$ ergibt sich aus obiger $γ(f)$–Gleichung wie folgt:
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==Formulierung des Residuensatzes==
$$\alpha(f)  =  \sqrt{\frac {1}{2}\cdot \left (R' G' - \omega^2 \cdot L'  C'\right)+ \frac {1}{2}\sqrt{(R'^2 + \omega^2 \cdot L'^2) \cdot (G'^2 + \omega^2 \cdot C'^2)}} \bigg |_{\omega \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}2\pi f}.$$
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Der ungerade Imaginärteil  $⇒  β(– f) = – β(f)$ heißt Phasenmaß und beschreibt die Phasendrehung der Welle entlang der Leitung:
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Es wird weiter vorausgesetzt, dass die Übertragungsfunktion &nbsp;$Y_{\rm L}(p)$&nbsp; in Pol–Nullstellen–Form durch
$$\beta(f)  =  \sqrt{\frac {1}{2}\cdot \left (-R' G' + \omega^2 \cdot L'  C'\right)+ \frac {1}{2}\sqrt{(R'^2 + \omega^2 \cdot L'^2) \cdot (G'^2 + \omega^2 \cdot C'^2)}} \bigg |_{\omega \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}2\pi f}.$$
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*den konstanten Faktor&nbsp; $K$,
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*die &nbsp;$Z$&nbsp; Nullstellen &nbsp;$p_{{\rm o}i}$&nbsp; $(i = 1$, ... , $Z)$&nbsp; und  
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*die &nbsp;$N$&nbsp; Polstellen &nbsp;$p_{{\rm x}i}$&nbsp; $(i = 1$, ... , $N$)
  
==Wellenwiderstand und Reflexionen (1)==
 
Betrachten wir nun eine homogene Leitung der Länge $l$, an dessen Eingang eine harmonische Schwingung $U_0(f)$ mit variabler Frequenz $f$ angelegt wird. Der Sender besitzt den Innenwiderstand $Z_1$, der Empfänger den Eingangswiderstand $Z_2$, der gleichzeitig den Abschlusswiderstand der Leitung bildet. Wir gehen vereinfachend davon aus, dass $Z_1$ und $Z_2$ reelle Widerstände sind.
 
  
[[Datei:P_ID1793__LZI_T_4_1_S2a_neu.png | Leitung der Länge l mit Beschaltung]]
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dargestellt werden kann. Wir setzen zudem &nbsp;$Z < N$&nbsp; voraus.  
  
Strom und Spannung von hinlaufender und rücklaufender Welle sind jeweils über den Wellenwiderstand $Z_W(f)$ miteinander verknüpft:
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Die Anzahl der unterscheidbaren Pole bezeichnen wir mit &nbsp;$I$.&nbsp; Zur Bestimung von &nbsp;$I$&nbsp; werden mehrfache Pole nur einfach gezählt.&nbsp; So gilt für die&nbsp; [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Laplace–Rücktransformation#Einige_Ergebnisse_der_Funktionentheorie|Skizze]]&nbsp; im letzten Abschnitt&nbsp; (unter Berücksichtigung des Poles bei &nbsp;$p=0$)&nbsp; aufgrund der doppelten Polstelle: &nbsp;  $N = 5$&nbsp; und &nbsp;$I = 4$.
$$I_{\rightarrow}(x, f) = \frac{U_{\rightarrow}(x, f)}{Z_{\rm W}(f)}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.5cm} I_{\leftarrow}(x, f) = \frac{U_{\leftarrow}(x, f)}{Z_{\rm W}(f)}\hspace{0.05cm}.$$
 
Für den Wellenwiderstand gilt dabei:
 
$$Z_{\rm W}(f)  = \sqrt{\frac {R' + {\rm j}  \cdot \omega  L'}{G' + {\rm j}  \cdot \omega  C'}} \hspace{0.1cm}\bigg |_{\omega \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}2\pi f}.$$
 
  
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{{BlaueBox|TEXT= 
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$\text{Residuensatz:}$&nbsp;
 +
Unter den genannten Voraussetzungen ergibt sich die&nbsp; '''Laplace–Rücktransformierte'''&nbsp; von &nbsp;$Y_{\rm L}(p)$&nbsp; für Zeiten&nbsp; $t ≥ 0$&nbsp; als die Summe von&nbsp; $I$&nbsp; Eigenschwingungen der Pole, die man als die&nbsp; '''Residuen'''&nbsp; – abgekürzt mit „Res” – bezeichnet:
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:$$y(t) = \sum_{i=1}^{I}{\rm Res} \bigg \vert _{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}_i}} \hspace{-0.7cm}\{Y_{\rm L}(p)\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\} \hspace{0.05cm} .$$
  
Die in positiver x–Richtung laufende Welle wird durch die Wechselspannungsquelle am Leitungsanfang (also bei $x =$ 0) erzeugt. Die rücklaufende Welle entsteht erst durch Reflektion der Vorwärtswelle am Leitungsende $(x = l)$. An dieser Stelle wird durch den Abschlusswiderstand $Z_2$ ein festes Verhältnis zwischen Spannung und Strom entsprechend $U_2(f) = Z_2 · I_2(f)$ erzwungen.
+
Da&nbsp; $Y_{\rm L}(p)$&nbsp; nur für kausale Signale angebbar ist,&nbsp; gilt für negative Zeiten stets &nbsp;$y(t < 0) = 0$.  
  
Die rücklaufende Welle entsteht bei Fehlanpassung durch Reflexion am Leitungsende:  
+
*Für einen Pol der Vielfachheit &nbsp;$l$&nbsp; gilt allgemein:
$$U_{\leftarrow}(x = l) = {U_{\rightarrow}(x = l)}\cdot \frac{Z_2 -Z_{\rm W}(f)}{Z_2 + Z_{\rm W}(f)}\hspace{0.05cm}.$$
+
:$${\rm Res} \bigg \vert _{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{-0.7cm}\{Y_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= \frac{1}{(l-1)!}\cdot \frac{ {\rm d}^{\hspace{0.05cm}l-1} }{ {\rm d}p^{\hspace{0.05cm}l-1} }\hspace{0.15cm} \left \{Y_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{ {\rm x}_i})^{\hspace{0.05cm}l}\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\right\} \bigg \vert_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{0.05cm} .$$
 +
*Als Sonderfall ergibt sich daraus mit &nbsp;$l = 1$&nbsp; für einen einfachen Pol:
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:$${\rm Res} \bigg\vert_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{-0.7cm}\{Y_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= Y_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{ {\rm x}_i} )\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg \vert _{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{0.05cm} .$$}}
  
Man erkennt aus dieser Gleichung, dass nur für $Z_2 = Z_W(f)$ keine rücklaufende Welle entsteht. Eine solche Widerstandanpassung wird in der Nachrichtentechnik stets angestrebt. Allerdings ist diese Anpassung wegen der Frequenzabhängigkeit des Wellenwiderstandes bei festem Abschluss $Z_2$ nicht über einen größeren Frequenzbereich möglich.
 
  
Nachfolgend werden diese Gleichungen an einem Beispiel erläutert.
+
Auf den nächsten Seiten wird der Residuensatz anhand dreier ausführlicher Beispiele verdeutlicht, die mit den drei Konstellationen im&nbsp; [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Laplace–Transformation_und_p–Übertragungsfunktion#Eigenschaften_der_Pole_und_Nullstellen| $\text{Beispiel 3}$]]&nbsp;  im Kapitel &bdquo;Laplace&ndash;Transformation&rdquo; korrespondieren:
 +
*Wir betrachten also wieder den Vierpol mit einer Induktivität &nbsp;$L = 25 \ \rm &micro;H$&nbsp; im Längszweig  sowie im Querzweig die Serienschaltung aus einem Ohmschen Widerstand&nbsp; $R = 50 \ \rm Ω$&nbsp; und einer Kapazität&nbsp; $C$.
 +
*Für Letztere betrachten wir wieder drei verschiedene Werte,&nbsp; nämlich &nbsp;$C = 62.5 \ \rm nF$, &nbsp;$C = 8 \ \rm nF$&nbsp; und &nbsp;$C = 40 \ \rm nF$.
 +
*Vorausgesetzt ist stets &nbsp;$x(t) = δ(t) \; ⇒  \; X_{\rm L}(p) = 1$ &nbsp; &rArr; &nbsp; $Y_{\rm L}(p) = H_{\rm L}(p)$  &nbsp; &rArr; &nbsp;  $y(t)$&nbsp; ist gleich der Impulsantwort &nbsp;$h(t)$.
  
==Wellenwiderstand und Reflexionen (2)==
+
==Aperiodisch abklingende Impulsantwort==
{{Beispiel}}
+
<br>
Wir betrachten den Fall, dass sich der Abschlusswiderstand $Z_2$ der Leitung (gleichzeitig der Eingangswiderstand des nachfolgenden Empfängers) vom Wellenwiderstand $Z_W(f)$ unterscheidet. Die Fehlanpassung am Leitungsanfang lassen wir außer Betracht.
+
Mit der Kapazität &nbsp;$C = 62.5 \ \rm nF$&nbsp; und den weiteren in der unteren Grafik angegebenen Zahlenwerten erhält man für die auf der Seite &nbsp;[[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Laplace–Transformation_und_p–Übertragungsfunktion#Pol.E2.80.93Nullstellen.E2.80.93Darstellung_von_Schaltungen|Pol–Nullstellen–Darstellung von Schaltungen]]&nbsp;  berechnete&nbsp; $p$&ndash;Übertragungsfunktion:
 +
[[Datei: P_ID1772__LZI_T_3_3_S3a_kurz.png  |right|frame| Abklingende Impulsantwort]]
  
[[Datei:P_ID2844__LZI_T_4_1_S2c_neu.png | Modell zur Beschreibung der Wellenreflexion]]
+
:$$H_{\rm L}(p)= K \cdot \frac {p - p_{\rm o }} {(p - p_{\rm x 1})(p - p_{\rm x 2})}= 2 \cdot \frac {p + 0.32 }
 +
{(p +0.4)(p +1.6 )} \hspace{0.05cm} .$$
  
Die untere Grafik aus [Han08]  soll deutlich machen, wie sich die resultierende Welle $U(x)$ – als durchgezogene Kurve dargestellt – von der hinlaufenden Welle $U_→(x)$ unterscheidet.
+
Beachten Sie bitte die Normierung von &nbsp;$p$, &nbsp;$K$ sowie aller Pole und Nullstellen mit dem Faktor &nbsp;${\rm 10^6} · 1/\rm s$.
  
[[Datei:P_ID2840__LZI_T_4_1_S2b_V2.png | Hinlaufende, rücklaufende und resultierende Welle]]
+
Die Impulsantwort setzt sich aus &nbsp;$I = N = 2$&nbsp; Eigenschwingungen zusammen. Für $t < 0$&nbsp; sind diese gleich Null.
 +
*Das Residium des Pols bei &nbsp;$p_{{\rm x}1} =\  –0.4$&nbsp; liefert folgende Zeitfunktion:
 +
:$$h_1(t)  =  {\rm Res} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}1}} \hspace{-0.7cm}\{H_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= H_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{{\rm x}1})\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}1}}$$
 +
: $$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_1(t)  =  2 \cdot \frac {p + 0.32 } {p +0.4}\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}-0.4}= - \frac {2 } {15}\cdot  {\rm e}^{-0.4 \hspace{0.05cm} t} \hspace{0.05cm}. $$
 +
*Für das Residium des zweiten Pols bei &nbsp;$p_{{\rm x}2} = \ –1.6$&nbsp; gilt:
 +
:$$h_2(t)  =  {\rm Res} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}2}} \hspace{-0.7cm}\{H_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= H_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{{\rm x}2})\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}2}}$$
 +
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_2(t)  =  2 \cdot \frac {p + 0.32 } {p +1.6}\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}-1.6}=  \frac {32 } {15}\cdot  {\rm e}^{-1.6 \hspace{0.05cm} t} \hspace{0.05cm}. $$
  
*Rot markiert ist die hinlaufende Welle $U_→(x)$, die ausgehend vom Sender  $⇒  U_→(x =$ 0) sich längs der Leitung abschwächt. $U_→(x = l)$ bezeichnet die Welle am Leitungsende.  
+
Die Grafik zeigt &nbsp;$h_1(t)$&nbsp; und &nbsp;$h_2(t)$&nbsp; sowie das Summensignal &nbsp;$h(t)$.  
*Aufgrund der Fehlanpassung kommt es zur rücklaufenden Welle (Reflexion) $U_←(x)$ vom Leitungsende zum Sender, in der Grafik grün markiert. Für diese gilt am Ausgangspunkt $x = l$:
+
*Berücksichtigt ist auch hier der Normierungsfaktor &nbsp;$1/T = 10^6 · \rm 1/s$,&nbsp; so dass die Zeit auf &nbsp;$T = 1 \ \rm &micro; s$&nbsp; normiert ist.  
$$U_{\leftarrow}(x = l) = {U_{\rightarrow}(x = l)}\cdot \frac{Z_2 -Z_{\rm W}(f)}{Z_2 + Z_{\rm W}(f)}\hspace{0.05cm}.$$
+
*Für &nbsp;$t =0$&nbsp; ergibt sich $T \cdot h(t=0) = {32 }/ {15} -{2 }/ {15}= 2 \hspace{0.05cm}$.&nbsp;
*Die resultierende (blaue) Welle $U(x)$ ergibt sich aus der phasenrichtigen Addition dieser beiden für sich allein nicht sichtbaren Anteile. Mit zunehmendem $x$ wird $U(x)$ ebenso wie $U_→(x)$ wegen der Leitungsdämpfung kleiner. Auch die rücklaufende Welle $U_←(x)$ wird mit zunehmender Länge gedämpft, allerdings von rechts nach links.
+
*Für Zeiten &nbsp;$t > 2 \ \rm &micro; s$&nbsp; ist die Impulsantwort  negativ&nbsp; (wenn auch nur geringfügig und in der Grafik nur schwer zu erkennen).
{{end}}
+
<br clear=all>
 +
==Gedämpft oszillierende Impulsantwort==
 +
<br>
 +
Die Bauelementewerte &nbsp;$R = 50 \ \rm Ω$, &nbsp;$L = 25 \ \rm &micro; H$ und &nbsp;$C = 8 \ \rm nF$ ergeben zwei konjugiert komplexe Pole bei &nbsp;$p_{{\rm x}1} = \ –1 + {\rm j} · 2$&nbsp; und &nbsp;$p_{{\rm x}2} = \ –1 - {\rm j} · 2$.&nbsp;
 +
[[Datei:P_ID1780__LZI_T_3_3_S3b_kurz.png |right|frame| Gedämpft oszillierende Impulsantwort]]
 +
*Die Nullstelle liegt bei &nbsp;$p_{\rm o} = \ –2.5$.  
 +
*Es gilt &nbsp;$K = 2$&nbsp; und alle Zahlenwerte sind wieder mit dem Faktor &nbsp;$1/T$&nbsp; zu multiplizieren $(T = 1\ \rm &micro; s$).
  
==Verlustlose und verlustarme Leitungen==
 
Für sehr kurze Koaxialleitungen, wie sie für Verbindungen von HF–Messgeräten im Labor verwendet werden, kann von $R' = G' ≈$ 0 ausgegangen werden. Man spricht dann von einer verlustlosen Leitung. Für eine solche vereinfachen sich die obigen Gleichungen zu
 
$$\alpha(f)  = 0\hspace{0.05cm}, \hspace{0.3cm}\beta(f)  =  2\pi \cdot f \cdot \sqrt{L' \cdot C' }\hspace{0.05cm}, \hspace{0.3cm} Z_{\rm W}(f) = \sqrt{{L'}/{ C'} }\hspace{0.05cm}.$$
 
  
Sind $L'$ und $C'$ im betrachteten Frequenzbereich konstant, so ist der (reelle) Wellenwiderstand $Z_W(f)$ ebenfalls frequenzunabhängig und das Phasenmaß $β(f)$ proportional zur Frequenz. Das bedeutet, dass eine verlustlose Leitung stets verzerrungsfrei ist. Das Ausgangssignal weist gegenüber dem Eingangssignal lediglich eine Laufzeit auf. Üblich sind Wellenwiderstände von 50 Ω, 75 Ω und 150 Ω.  
+
Wendet man den Residuensatz auf diese Konfiguration an, so erhält man:
 +
:$$h_1(t) =  K \cdot \frac {p_{\rm x 1} - p_{\rm o }} {p_{\rm x 1} - p_{\rm x 2}} \cdot  {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 1} \cdot \hspace{0.05cm}t} $$
 +
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_1(t) =    2 \cdot \frac {-1 + {\rm j}\cdot 2 +2.5} {(-1 + {\rm j}\cdot 2) - (-1 - {\rm j}\cdot 2)}\cdot  {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 1}
 +
\cdot\hspace{0.05cm}t}$$
 +
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_1(t) =  2 \cdot \frac {1.5 + {\rm j}\cdot 2} {{\rm j}\cdot 4}\cdot  {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 1} \cdot\hspace{0.05cm}t}= (1 - {\rm j}\cdot 0.75)\cdot {\rm
 +
e}^{-t}\cdot {\rm  e}^{\hspace{0.03cm}{\rm j}\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} 2t} \hspace{0.05cm} ,$$
  
Betrachten wir nun nochmals die Formel für das Dämpfungsmaß, also die Dämpfungsfunktion pro Länge,
+
:$$ h_2(t) =  K \cdot \frac {p_{\rm x 2} - p_{\rm o }} {p_{\rm x 2} - p_{\rm x 1}}\cdot  {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 2} \hspace{0.03cm}\cdot \hspace{0.05cm}t} $$
$$\alpha(f)  = {{\rm a}(f)}/{ l} \hspace{0.05cm},$$
+
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm} h_2(t) =  2 \cdot \frac {-1 - {\rm j}\cdot 2 +2.5} {(-1 - {\rm j}\cdot 2) - (-1 + {\rm j}\cdot 2)}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 2} \hspace{0.03cm}\cdot\hspace{0.05cm}t} $$
wenn die Leitung etwas länger ist, aber noch nicht als lang bezeichnet werden kann. Man spricht in diesem Fall von einer verlustarmen Leitung.  
+
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_2(t) =2 \cdot \frac {1.5 - {\rm j}\cdot 2} {-{\rm j}\cdot 4}\cdot  {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 2} \hspace{0.03cm}\cdot\hspace{0.05cm}t}= (1 + {\rm j}\cdot 0.75)\cdot {\rm e}^{-t}\cdot {\rm  e}^{\hspace{0.03cm}-{\rm j}\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} 2t}  $$
 +
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_2(t) = (1 + {\rm j}\cdot 0.75)\cdot {\rm e}^{-t}\cdot {\rm  e}^{\hspace{0.03cm}-{\rm j}\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} 2t} \hspace{0.05cm} . $$
  
Die vorne angegebene Formel für das Dämpfungsmaß soll nun für den nicht ganz der Wirklichkeit entsprechenden Fall konstanter Leitungsbeläge ausgewertet werden. Oberhalb einer '''charakteristischen Frequenz''' $f_∗$, die von $R', L', G'$ und $C'$ abhängt, kann $R'$ als sehr klein gegenüber $ωL'$ und $G'$ als sehr klein gegenüber $ωC'$ angenommen werden. Damit ergibt sich die Näherungsformel
+
Mit dem&nbsp; [[Signaldarstellung/Zum_Rechnen_mit_komplexen_Zahlen#Darstellung_nach_Betrag_und_Phase|Satz von Euler]]&nbsp; ergibt sich somit für das Summensignal:
$$\alpha_{_{{\rm I}}}(f) = \frac{1}{2} \cdot \left [R' \cdot \sqrt{\frac{C'}{ L'} } + G' \cdot \sqrt{\frac{L'}{ C'} }\right ] \hspace{0.05cm},$$
+
:$$h(t) =  h_1(t) + h_2(t)\hspace{0.3cm}
die in der Literatur häufig als '''schwache Dämpfung''' bezeichnet wird.
+
\Rightarrow \hspace{0.3cm}h(t) = {\rm  e}^{-t}\cdot \big [ (1 - {\rm j}\cdot 0.75)\cdot (\cos() + {\rm j}\cdot \sin())+
 +
+ (1 + {\rm j}\cdot 0.75)\cdot (\cos() - {\rm j}\cdot \sin())\big ]$$
 +
:$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h(t) ={\rm  e}^{-t}\cdot \big [ 2\cdot \cos(2t) + 1.5 \cdot \sin(2t)\big ]\hspace{0.05cm} . $$
  
Für kleine Frequenzen $(f < f_∗)$ ist dagegen $R' >> ωL'$ und $G' >> ωC'$ zu berücksichtigen und man erhält eine zweite obere Schranke, die man oft als '''starke Dämpfung''' bezeichnet:
+
Die Grafik zeigt die nun mit &nbsp;${\rm e}^{–t}$&nbsp; gedämpft oszillierende Impulsantwort &nbsp;$h(t)$&nbsp; für diese Pol–Nullstellen–Konfiguration.
 +
<br clear=all>
 +
==Aperiodischer Grenzfall==
 +
<br>
 +
Mit &nbsp;$R = 50 \ \rm Ω$, &nbsp;$L = 25 \ \rm &micro; H$&nbsp; und &nbsp;$C = 40 \ \rm nF$&nbsp; ergibt sich der so genannte aperiodische Grenzfall:
 +
:$$H_{\rm L}(p)= K \cdot \frac {p - p_{\rm o }} {(p - p_{\rm x })^2}= 2 \cdot \frac {p + 0.5 } {(p +1)^2}  \hspace{0.05cm} .$$
  
[[Datei:P_ID1795__LZI_T_4_1_S3_kleiner_neu.png | Dämpfungsmaß α(f) und Schranken | rechts]]
+
Der Kapazitätswert &nbsp;$C = 40 \ \rm nF$&nbsp; ist der kleinstmögliche Wert, für den sich gerade noch reelle Polstellen ergeben. &nbsp; Diese fallen zusammen, das heißt &nbsp;$p_{\rm x} = \ –1$&nbsp; ist eine doppelte Polstelle. &nbsp; Die Zeitfunktion lautet somit entsprechend dem Residuensatz mit &nbsp;$l = 2$:
 +
:$$h(t) =  {\rm Res} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x} } } \hspace{-0.7cm}\{H_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}=  \frac{ {\rm d} }{ {\rm d}p}\hspace{0.15cm}
 +
\left \{H_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{ {\rm x} })^2\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\right\} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x} } } =  K \cdot \frac{ {\rm d} }{ {\rm d}p}\hspace{0.15cm}\left \{ (p - p_{ {\rm o} })\cdot  {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\right\}  \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x} } } \hspace{0.05cm} .$$
  
$$\alpha_{_{{\rm II}}}(f)  =  \sqrt{\omega  \cdot \frac{R' \hspace{0.05cm} C'}{ 2} }\hspace{0.1cm} \bigg |_{\omega \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}2\pi f}\hspace{0.05cm}.$$
+
[[Datei:P_ID1774__LZI_T_3_3_S3c_kurz.png |right|frame| Impulsantwort&nbsp; (grün)&nbsp; und Sprungantwort&nbsp; (rot)&nbsp; des aperiodischen Grenzfalls]]
Die Grafik zeigt das Dämpfungsmaß $α(f)$ bei konstanten Leitungsbelägen nach der exakten, aber komplizierten Formel und die beiden Schranken $α_I(f)$ und $α_{II}(f)$.
 
  
Man erkennt aus dieser Darstellung:  
+
Mit der Produktregel der Differentialrechnung ergibt sich daraus:
*Sowohl $α_I(f)$ als auch $α_{II}(f)$ sind obere Schranken für $α(f)$.  
+
:$$h(t) = K \cdot \left [ {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} + (p - p_{ {\rm o} })\cdot t \cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \right ] \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}-1} = {\rm  e}^{-t}\cdot \left ( 2 - t \right)
*Die charakteristische Frequenz $f_∗$ ist der Schnittpunkt von $α_I(f)$ und $α_{II}(f)$.  
+
  \hspace{0.05cm} .$$
*Für $f >> f_∗$ gilt $α(f) ≈ α_I(f)$, für $f << f_∗$ dagegen $α(f) ≈ α_{II}(f)$.
 
   
 
  
 +
*Die Grafik zeigt diese&nbsp; '''Impulsantwort'''&nbsp; als grüne Kurve in normierter Darstellung.&nbsp; Sie unterscheidet sich von derjenigen mit den beiden unterschiedlichen Polen bei&nbsp; $-0.4$&nbsp; und&nbsp; $-1.6$&nbsp; nur geringfügig.
  
 +
*Das rot gezeichnete Signal &nbsp;$y(t) =  1 - {\rm  e}^{-t} + t \cdot {\rm  e}^{-t}$&nbsp; ergibt sich, wenn  am Eingang  zusätzlich eine Sprungfunktion berücksichtigt wird.&nbsp; 
  
  
 +
Zur Berechnung der&nbsp; '''Sprungantwort''' &nbsp; &nbsp;$\sigma(t) = y(t)$&nbsp; kann man alternativ
 +
:*bei der Residuenberechnung einen zusätzlichen Pol bei &nbsp;$p = 0$ &nbsp; (rot markiert) berücksichtigen, oder 
 +
:*das Integral über die Impulsantwort &nbsp;$h(t)$&nbsp; bilden.
  
  
 +
==Partialbruchzerlegung==
 +
<br>
 +
Voraussetzung für die Anwendung des Residuensatzes ist, dass es weniger Nullstellen als Pole gibt &nbsp; &rArr; &nbsp; $Z$&nbsp; muss stets  kleiner als &nbsp;$N$&nbsp; sein.
 +
 +
Gilt dagegen wie bei einem Hochpass &nbsp;$Z = N$,&nbsp; so
 +
*ist der Grenzwert der Spektralfunktion für großes &nbsp;$p$&nbsp; ungleich Null,
 +
*beinhaltet das zugehörige Zeitsignal &nbsp;$y(t)$&nbsp; auch einen &nbsp;[[Signaldarstellung/Einige_Sonderfälle_impulsartiger_Signale#Diracimpuls|Diracimpuls]], 
 +
*versagt der Residuensatz und es ist eine&nbsp; [https://de.wikipedia.org/wiki/Partialbruchzerlegung '''Partialbruchzerlegung''']&nbsp; vorzunehmen.
 +
 +
 +
Die Vorgehensweise soll beispielhaft für einen Hochpass erster Ordnung verdeutlicht werden.
 +
 +
[[Datei:P_ID1775__LZI_T_3_3_S5_neu.png |right|frame| Impulsantwort von Tiefpass (blau) und Hochpass (rot)]]
 +
{{GraueBox|TEXT= 
 +
$\text{Beispiel 1:}$&nbsp;
 +
Die&nbsp; $p$–Übertragungsfunktion eines RC–Hochpasses erster Ordnung  kann durch Abspaltung einer Konstanten wie folgt umgewandelt werden:
 +
:$$\frac{p}{p + RC} = 1- \frac{RC}{p + RC}\hspace{0.05cm} .$$
 +
Damit lautet die Hochpass&ndash;Impulsantwort:
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:$$h_{\rm HP}(t) = \delta(t) - h_{\rm TP}(t) \hspace{0.05cm} .$$
 +
 +
 +
Die Grafik zeigt
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*als rote Kurve die Hochpass&ndash;Impulsantwort &nbsp;$h_{\rm HP}(t)$,
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* als blaue Kurve die Impulsantwort &nbsp;$h_{\rm TP}(t)$&nbsp; des äquivalenten Tiefpasses.
 +
 +
 +
Die Diracfunktion ist die Laplace–Transformierte des konstanten Wertes&nbsp; $1$,&nbsp; während die zweite, zu subtrahierende  Funktion die Impulsantwort des äquivalenten Tiefpasses angibt, die durch den Residuensatz angebbar ist mit den Parametern
 +
:$$Z = 0,\hspace{0.2cm} N =1,\hspace{0.2cm} K = RC.$$  }}
 +
 +
==Aufgaben zum Kapitel==
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[[Aufgaben:Aufgabe_3.5:_Schaltung_mit_R,_L_und_C| Aufgabe 3.5: Schaltung mit R, L und C]]
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[[Aufgaben:3.5Z_Anwendung_des_Residuensatzes|Aufgabe 3.5Z: Anwendung des Residuensatzes]]
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[[Aufgaben:3.6_Einschwingverhalten| Aufgabe 3.6: Einschwingverhalten]]
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[[Aufgaben:3.6Z_Zwei_imaginäre_Pole|Aufgabe 3.6Z: Zwei imaginäre Pole]]
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[[Aufgaben:3.7_Hochpass-Impulsantwort| Aufgabe 3.7: Hochpass-Impulsantwort]]
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[[Aufgaben:3.7Z_Partialbruchzerlegung|Aufgabe 3.7Z: Partialbruchzerlegung]]
  
  
 
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Aktuelle Version vom 18. Oktober 2021, 11:19 Uhr

Problemstellung und Voraussetzungen


$\text{Aufgabenstellung:}$  Dieses Kapitel behandelt das folgende Problem:

  • Bekannt ist die  $p$–Spektralfunktion  $Y_{\rm L}(p)$  in der Pol–Nullstellen–Form.
  • Gesucht ist die  Laplace–Rücktransformierte, also die dazugehörige Zeitfunktion  $y(t)$, wobei folgende Notation gelten soll:
$$y(t) = {\rm L}^{-1}\{Y_{\rm L}(p)\}\hspace{0.05cm} , \hspace{0.3cm}{\rm kurz}\hspace{0.3cm} y(t) \quad \circ\!\!-\!\!\!-^{\hspace{-0.25cm}\rm L}\!\!\!-\!\!\bullet\quad Y_{\rm L}(p)\hspace{0.05cm} .$$


In der Grafik sind die Voraussetzungen für diese Aufgabenstellung zusammengestellt.

Voraussetzungen für das Kapitel „Laplace–Rücktransformation”
  • $H_{\rm L}(p)$  beschreibt das kausale Übertragungssystem und  $Y_{\rm L}(p)$  gibt die Laplace–Transformierte des Ausgangssignals  $y(t)$  unter Berücksichtigung des Eingangssignals  $x(t)$  an.  $Y_{\rm L}(p)$  ist gekennzeichnet durch  $N$  Pole, durch  $Z ≤ N$  Nullstellen sowie durch die Konstante  $K.$
  • Die Pole und Nullstellen zeigen die im  letzten Kapitel  genannten Eigenschaften:   Pole dürfen nur in der linken  $p$–Halbebene oder auf der imaginären Achse liegen, Nullstellen sind dagegen auch in der rechten  $p$–Halbebene erlaubt.
  • Alle Singularitäten – dies ist der Oberbegriff für Pole und Nullstellen – sind entweder reell oder es treten Paare von konjugiert–komplexen Singularitäten auf.  Mehrfache Pole und Nullstellen sind erlaubt.
  • Verwendet man das Eingangssignal  $x(t) = δ(t)$   ⇒  $ X_{\rm L}(p) = 1 $   ⇒  $ Y_{\rm L}(p) = H_{\rm L}(p)$,  so beschreibt  $y(t)$  die Impulsantwort  $h(t)$  des Übertragungssystems.  Zur Berechnung dürfen hierfür nur die in der Grafik grün eingezeichneten Singularitäten herangezogen werden.
  • Eine Sprungfunktion  $x(t) = γ(t) \ \ ⇒ \ \ X_{\rm L} = 1/p$  am Eingang bewirkt, dass das Ausgangssignal  $y(t)$  gleich der  Sprungantwort   $σ(t)$ von $H_{\rm L}(p)$  ist.  Zur Berechnung ist neben den Singularitäten von  $H_{\rm L}(p)$  nun auch die (in der Grafik rot eingezeichnete) Polstelle bei  $p = 0$  zu berücksichtigen.
  • Als Eingang  $x(t)$  sind nur Signale möglich, für die  $X_{ \rm L}(p)$  in Pol–Nullstellen–Form darstellbar ist   (siehe  Tabelle  im Kapitel „Laplace–Transformation und $p$–Übertragungsfunktion”),  zum Beispiel ein zum Zeitpunkt  $t = 0$  eingeschaltetes Cosinus– oder Sinussignal.
  • Bei der hier beschriebenen Vorgehensweise ist also ein Rechteck als Eingangssignal  $x(t)\ \ ⇒ \ \ X_{\rm L}(p) = (1 - {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} T})/p$  nicht möglich.  Die Rechteckantwort  $y(t)$  kann aber als Differenz zweier Sprungantworten indirekt berechnet werden.

Einige Ergebnisse der Funktionentheorie


Im Gegensatz zu den  Fourierintegralen, die sich in den beiden Transformationsrichtungen nur geringfügig unterscheiden, ist bei „Laplace” die Berechnung von  $y(t)$  aus  $Y_{\rm L}(p)$ – also die Rücktransformation –

  • sehr viel schwieriger als die Berechnung von  $Y_{\rm L}(p)$  aus  $y(t)$,
  • auf elementarem Weg nicht oder nur sehr umständlich lösbar.


$\text{Definition:}$  Allgemein gilt für die  Laplace–Rücktransformation:

$$y(t) = {\rm L}^{-1}\{Y_{\rm L}(p)\}= \lim_{\beta \hspace{0.05cm}\rightarrow \hspace{0.05cm}\infty} \hspace{0.15cm} \frac{1}{ {\rm j} \cdot 2 \pi}\cdot \int_{ \alpha - {\rm j} \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}2 \pi \beta } ^{\alpha+{\rm j} \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}2 \pi \beta} Y_{\rm L}(p) \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} t}\hspace{0.1cm}{\rm d}p \hspace{0.05cm} .$$
  • Die Integration erfolgt parallel zur imaginären Achse.
  • Der Realteil  $α$  ist so zu wählen, dass alle Pole links vom Integrationsweg liegen.


Linienintegral sowie linkes und rechtes Kreisintegral

Die linke Grafik verdeutlicht dieses Linienintegral entlang der rot gepunkteten Vertikalen  ${\rm Re}\{p\}= α$.  Lösbar ist dieses Integral mit dem  Jordanschen Lemma der Funktionstheorie.  Hier folgt nur eine sehr kurze und einfache Zusammenfassung der Vorgehensweise:

  • Das Linienintegral kann in zwei Kreisintegrale aufgeteilt werden, wobei sämtliche Polstellen im linken Kreisintegral liegen, während das rechte Kreisintegral nur Nullstellen beinhalten darf.
  • Entsprechend der Funktionstheorie liefert das rechte Kreisintegral die Zeitfunktion  $y(t)$  für negative Zeiten. Aufgrund der Kausalität ist  $y(t < 0) \equiv 0$,  sein.  Dies trifft aber nur dann zu, wenn es in der rechten  $p$–Halbebene keine Pole gibt.
  • Das Integral über den linken Halbkreis liefert die Zeitfunktion für  $t ≥ 0$. Dieses umschließt alle Pole und ist mit dem Residuensatz in (relativ) einfacher Weise berechenbar, wie auf den nächsten Seiten gezeigt wird.

Formulierung des Residuensatzes


Es wird weiter vorausgesetzt, dass die Übertragungsfunktion  $Y_{\rm L}(p)$  in Pol–Nullstellen–Form durch

  • den konstanten Faktor  $K$,
  • die  $Z$  Nullstellen  $p_{{\rm o}i}$  $(i = 1$, ... , $Z)$  und
  • die  $N$  Polstellen  $p_{{\rm x}i}$  $(i = 1$, ... , $N$)


dargestellt werden kann. Wir setzen zudem  $Z < N$  voraus.

Die Anzahl der unterscheidbaren Pole bezeichnen wir mit  $I$.  Zur Bestimung von  $I$  werden mehrfache Pole nur einfach gezählt.  So gilt für die  Skizze  im letzten Abschnitt  (unter Berücksichtigung des Poles bei  $p=0$)  aufgrund der doppelten Polstelle:   $N = 5$  und  $I = 4$.

$\text{Residuensatz:}$  Unter den genannten Voraussetzungen ergibt sich die  Laplace–Rücktransformierte  von  $Y_{\rm L}(p)$  für Zeiten  $t ≥ 0$  als die Summe von  $I$  Eigenschwingungen der Pole, die man als die  Residuen  – abgekürzt mit „Res” – bezeichnet:

$$y(t) = \sum_{i=1}^{I}{\rm Res} \bigg \vert _{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}_i}} \hspace{-0.7cm}\{Y_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\} \hspace{0.05cm} .$$

Da  $Y_{\rm L}(p)$  nur für kausale Signale angebbar ist,  gilt für negative Zeiten stets  $y(t < 0) = 0$.

  • Für einen Pol der Vielfachheit  $l$  gilt allgemein:
$${\rm Res} \bigg \vert _{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{-0.7cm}\{Y_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= \frac{1}{(l-1)!}\cdot \frac{ {\rm d}^{\hspace{0.05cm}l-1} }{ {\rm d}p^{\hspace{0.05cm}l-1} }\hspace{0.15cm} \left \{Y_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{ {\rm x}_i})^{\hspace{0.05cm}l}\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\right\} \bigg \vert_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{0.05cm} .$$
  • Als Sonderfall ergibt sich daraus mit  $l = 1$  für einen einfachen Pol:
$${\rm Res} \bigg\vert_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{-0.7cm}\{Y_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= Y_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{ {\rm x}_i} )\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg \vert _{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x}_i} } \hspace{0.05cm} .$$


Auf den nächsten Seiten wird der Residuensatz anhand dreier ausführlicher Beispiele verdeutlicht, die mit den drei Konstellationen im  $\text{Beispiel 3}$  im Kapitel „Laplace–Transformation” korrespondieren:

  • Wir betrachten also wieder den Vierpol mit einer Induktivität  $L = 25 \ \rm µH$  im Längszweig sowie im Querzweig die Serienschaltung aus einem Ohmschen Widerstand  $R = 50 \ \rm Ω$  und einer Kapazität  $C$.
  • Für Letztere betrachten wir wieder drei verschiedene Werte,  nämlich  $C = 62.5 \ \rm nF$,  $C = 8 \ \rm nF$  und  $C = 40 \ \rm nF$.
  • Vorausgesetzt ist stets  $x(t) = δ(t) \; ⇒ \; X_{\rm L}(p) = 1$   ⇒   $Y_{\rm L}(p) = H_{\rm L}(p)$   ⇒   $y(t)$  ist gleich der Impulsantwort  $h(t)$.

Aperiodisch abklingende Impulsantwort


Mit der Kapazität  $C = 62.5 \ \rm nF$  und den weiteren in der unteren Grafik angegebenen Zahlenwerten erhält man für die auf der Seite  Pol–Nullstellen–Darstellung von Schaltungen  berechnete  $p$–Übertragungsfunktion:

Abklingende Impulsantwort
$$H_{\rm L}(p)= K \cdot \frac {p - p_{\rm o }} {(p - p_{\rm x 1})(p - p_{\rm x 2})}= 2 \cdot \frac {p + 0.32 } {(p +0.4)(p +1.6 )} \hspace{0.05cm} .$$

Beachten Sie bitte die Normierung von  $p$,  $K$ sowie aller Pole und Nullstellen mit dem Faktor  ${\rm 10^6} · 1/\rm s$.

Die Impulsantwort setzt sich aus  $I = N = 2$  Eigenschwingungen zusammen. Für $t < 0$  sind diese gleich Null.

  • Das Residium des Pols bei  $p_{{\rm x}1} =\ –0.4$  liefert folgende Zeitfunktion:
$$h_1(t) = {\rm Res} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}1}} \hspace{-0.7cm}\{H_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= H_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{{\rm x}1})\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}1}}$$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_1(t) = 2 \cdot \frac {p + 0.32 } {p +0.4}\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}-0.4}= - \frac {2 } {15}\cdot {\rm e}^{-0.4 \hspace{0.05cm} t} \hspace{0.05cm}. $$
  • Für das Residium des zweiten Pols bei  $p_{{\rm x}2} = \ –1.6$  gilt:
$$h_2(t) = {\rm Res} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}2}} \hspace{-0.7cm}\{H_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= H_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{{\rm x}2})\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{{\rm x}2}}$$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_2(t) = 2 \cdot \frac {p + 0.32 } {p +1.6}\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}-1.6}= \frac {32 } {15}\cdot {\rm e}^{-1.6 \hspace{0.05cm} t} \hspace{0.05cm}. $$

Die Grafik zeigt  $h_1(t)$  und  $h_2(t)$  sowie das Summensignal  $h(t)$.

  • Berücksichtigt ist auch hier der Normierungsfaktor  $1/T = 10^6 · \rm 1/s$,  so dass die Zeit auf  $T = 1 \ \rm µ s$  normiert ist.
  • Für  $t =0$  ergibt sich $T \cdot h(t=0) = {32 }/ {15} -{2 }/ {15}= 2 \hspace{0.05cm}$. 
  • Für Zeiten  $t > 2 \ \rm µ s$  ist die Impulsantwort negativ  (wenn auch nur geringfügig und in der Grafik nur schwer zu erkennen).


Gedämpft oszillierende Impulsantwort


Die Bauelementewerte  $R = 50 \ \rm Ω$,  $L = 25 \ \rm µ H$ und  $C = 8 \ \rm nF$ ergeben zwei konjugiert komplexe Pole bei  $p_{{\rm x}1} = \ –1 + {\rm j} · 2$  und  $p_{{\rm x}2} = \ –1 - {\rm j} · 2$. 

Gedämpft oszillierende Impulsantwort
  • Die Nullstelle liegt bei  $p_{\rm o} = \ –2.5$.
  • Es gilt  $K = 2$  und alle Zahlenwerte sind wieder mit dem Faktor  $1/T$  zu multiplizieren $(T = 1\ \rm µ s$).


Wendet man den Residuensatz auf diese Konfiguration an, so erhält man:

$$h_1(t) = K \cdot \frac {p_{\rm x 1} - p_{\rm o }} {p_{\rm x 1} - p_{\rm x 2}} \cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 1} \cdot \hspace{0.05cm}t} $$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_1(t) = 2 \cdot \frac {-1 + {\rm j}\cdot 2 +2.5} {(-1 + {\rm j}\cdot 2) - (-1 - {\rm j}\cdot 2)}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 1} \cdot\hspace{0.05cm}t}$$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_1(t) = 2 \cdot \frac {1.5 + {\rm j}\cdot 2} {{\rm j}\cdot 4}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 1} \cdot\hspace{0.05cm}t}= (1 - {\rm j}\cdot 0.75)\cdot {\rm e}^{-t}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.03cm}{\rm j}\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} 2t} \hspace{0.05cm} ,$$
$$ h_2(t) = K \cdot \frac {p_{\rm x 2} - p_{\rm o }} {p_{\rm x 2} - p_{\rm x 1}}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 2} \hspace{0.03cm}\cdot \hspace{0.05cm}t} $$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm} h_2(t) = 2 \cdot \frac {-1 - {\rm j}\cdot 2 +2.5} {(-1 - {\rm j}\cdot 2) - (-1 + {\rm j}\cdot 2)}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 2} \hspace{0.03cm}\cdot\hspace{0.05cm}t} $$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_2(t) =2 \cdot \frac {1.5 - {\rm j}\cdot 2} {-{\rm j}\cdot 4}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.05cm}p_{\rm x 2} \hspace{0.03cm}\cdot\hspace{0.05cm}t}= (1 + {\rm j}\cdot 0.75)\cdot {\rm e}^{-t}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.03cm}-{\rm j}\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} 2t} $$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h_2(t) = (1 + {\rm j}\cdot 0.75)\cdot {\rm e}^{-t}\cdot {\rm e}^{\hspace{0.03cm}-{\rm j}\hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm} 2t} \hspace{0.05cm} . $$

Mit dem  Satz von Euler  ergibt sich somit für das Summensignal:

$$h(t) = h_1(t) + h_2(t)\hspace{0.3cm} \Rightarrow \hspace{0.3cm}h(t) = {\rm e}^{-t}\cdot \big [ (1 - {\rm j}\cdot 0.75)\cdot (\cos() + {\rm j}\cdot \sin())+ + (1 + {\rm j}\cdot 0.75)\cdot (\cos() - {\rm j}\cdot \sin())\big ]$$
$$\Rightarrow \hspace{0.3cm}h(t) ={\rm e}^{-t}\cdot \big [ 2\cdot \cos(2t) + 1.5 \cdot \sin(2t)\big ]\hspace{0.05cm} . $$

Die Grafik zeigt die nun mit  ${\rm e}^{–t}$  gedämpft oszillierende Impulsantwort  $h(t)$  für diese Pol–Nullstellen–Konfiguration.

Aperiodischer Grenzfall


Mit  $R = 50 \ \rm Ω$,  $L = 25 \ \rm µ H$  und  $C = 40 \ \rm nF$  ergibt sich der so genannte aperiodische Grenzfall:

$$H_{\rm L}(p)= K \cdot \frac {p - p_{\rm o }} {(p - p_{\rm x })^2}= 2 \cdot \frac {p + 0.5 } {(p +1)^2} \hspace{0.05cm} .$$

Der Kapazitätswert  $C = 40 \ \rm nF$  ist der kleinstmögliche Wert, für den sich gerade noch reelle Polstellen ergeben.   Diese fallen zusammen, das heißt  $p_{\rm x} = \ –1$  ist eine doppelte Polstelle.   Die Zeitfunktion lautet somit entsprechend dem Residuensatz mit  $l = 2$:

$$h(t) = {\rm Res} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x} } } \hspace{-0.7cm}\{H_{\rm L}(p)\cdot {\rm e}^{p t}\}= \frac{ {\rm d} }{ {\rm d}p}\hspace{0.15cm} \left \{H_{\rm L}(p)\cdot (p - p_{ {\rm x} })^2\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\right\} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x} } } = K \cdot \frac{ {\rm d} }{ {\rm d}p}\hspace{0.15cm}\left \{ (p - p_{ {\rm o} })\cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t}\right\} \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}p_{ {\rm x} } } \hspace{0.05cm} .$$
Impulsantwort  (grün)  und Sprungantwort  (rot)  des aperiodischen Grenzfalls

Mit der Produktregel der Differentialrechnung ergibt sich daraus:

$$h(t) = K \cdot \left [ {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} + (p - p_{ {\rm o} })\cdot t \cdot {\rm e}^{p \hspace{0.05cm}t} \right ] \bigg |_{p \hspace{0.05cm}= \hspace{0.05cm}-1} = {\rm e}^{-t}\cdot \left ( 2 - t \right) \hspace{0.05cm} .$$
  • Die Grafik zeigt diese  Impulsantwort  als grüne Kurve in normierter Darstellung.  Sie unterscheidet sich von derjenigen mit den beiden unterschiedlichen Polen bei  $-0.4$  und  $-1.6$  nur geringfügig.
  • Das rot gezeichnete Signal  $y(t) = 1 - {\rm e}^{-t} + t \cdot {\rm e}^{-t}$  ergibt sich, wenn am Eingang zusätzlich eine Sprungfunktion berücksichtigt wird. 


Zur Berechnung der  Sprungantwort    $\sigma(t) = y(t)$  kann man alternativ

  • bei der Residuenberechnung einen zusätzlichen Pol bei  $p = 0$   (rot markiert) berücksichtigen, oder
  • das Integral über die Impulsantwort  $h(t)$  bilden.


Partialbruchzerlegung


Voraussetzung für die Anwendung des Residuensatzes ist, dass es weniger Nullstellen als Pole gibt   ⇒   $Z$  muss stets kleiner als  $N$  sein.

Gilt dagegen wie bei einem Hochpass  $Z = N$,  so

  • ist der Grenzwert der Spektralfunktion für großes  $p$  ungleich Null,
  • beinhaltet das zugehörige Zeitsignal  $y(t)$  auch einen  Diracimpuls,
  • versagt der Residuensatz und es ist eine  Partialbruchzerlegung  vorzunehmen.


Die Vorgehensweise soll beispielhaft für einen Hochpass erster Ordnung verdeutlicht werden.

Impulsantwort von Tiefpass (blau) und Hochpass (rot)

$\text{Beispiel 1:}$  Die  $p$–Übertragungsfunktion eines RC–Hochpasses erster Ordnung kann durch Abspaltung einer Konstanten wie folgt umgewandelt werden:

$$\frac{p}{p + RC} = 1- \frac{RC}{p + RC}\hspace{0.05cm} .$$

Damit lautet die Hochpass–Impulsantwort:

$$h_{\rm HP}(t) = \delta(t) - h_{\rm TP}(t) \hspace{0.05cm} .$$


Die Grafik zeigt

  • als rote Kurve die Hochpass–Impulsantwort  $h_{\rm HP}(t)$,
  • als blaue Kurve die Impulsantwort  $h_{\rm TP}(t)$  des äquivalenten Tiefpasses.


Die Diracfunktion ist die Laplace–Transformierte des konstanten Wertes  $1$,  während die zweite, zu subtrahierende Funktion die Impulsantwort des äquivalenten Tiefpasses angibt, die durch den Residuensatz angebbar ist mit den Parametern

$$Z = 0,\hspace{0.2cm} N =1,\hspace{0.2cm} K = RC.$$

Aufgaben zum Kapitel

Aufgabe 3.5: Schaltung mit R, L und C

Aufgabe 3.5Z: Anwendung des Residuensatzes

Aufgabe 3.6: Einschwingverhalten

Aufgabe 3.6Z: Zwei imaginäre Pole

Aufgabe 3.7: Hochpass-Impulsantwort

Aufgabe 3.7Z: Partialbruchzerlegung