Differentielle Entropie

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Eigenschaften wertkontinuierlicher Zufallsgrößen

Bisher wurden stets wertdiskrete Zufallsgrößen der Form $X = \{x_1, x_2, ... , x_μ, ... , x_M\}$ betrachtet, die aus informationstheoretischer Sicht vollständig durch ihre Wahrscheinlichkeitsfunktion (englisch: Probability Mass Function, PMF) $P_X(X)$ charakterisiert werden:

Eine wertkontinuierliche Zufallsgröße kann dagegen – zumindest in endlichen Intervallen – jeden beliebigen Wert annehmen. Aufgrund des nicht abzählbaren Wertevorrats ist in diesem Fall die Beschreibung durch eine Wahrscheinlichkeitsfunktion nicht möglich oder zumindest nicht sinnvoll: Es ergäbe sich nämlich $M$ → $∞$ sowie $p_1$ → 0, $p_2$ → 0, usw.


Nomenklaturhinweise zu WDF und VTF

Man verwendet zur Beschreibung wertkontinuierlicher Zufallsgrößen gemäß den Definitionen im Buch „Stochastische Signaltheorie” gleichermaßen (beachten Sie die Einträge in der Grafik):

  • Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (WDF, englisch: Probability Density Function, PDF):

In Worten: Der WDF–Wert bei $x_0$ gibt die Wahrscheinlichkeit $p_{Δx}$ an, dass die Zufallsgröße $X$ in einem (unendlich kleinen) Intervall der Breite $Δx$ um $x_0$ liegt, dividiert durch $Δx$.

  • Mittelwert (Moment erster Ordnung, englisch: Mean Value bzw. Expectation Value):
  • Varianz (Zentralmoment zweiter Ordnung, englisch: Variance):
  • Verteilungsfunktion (VTF, englisch: Cumulative Distribution Function, CDF):

Beachten Sie, dass sowohl die WDF–Fläche als auch der VTF–Endwert stets gleich 1 sind.

Wir betrachten nun mit der Gleichverteilung einen wichtigen Sonderfall. Die Grafik zeigt den Verlauf zweier gleichverteilter Größen, die alle Werte zwischen 1 und 5 (Mittelwert $m_1$ = 3) mit gleicher Wahrscheinlichkeit annehmen können. Links ist das Ergebnis eines Zufallsprozesses dargestellt, rechts ein deterministisches Signal („Sägezahn”) mit gleicher Amplitudenverteilung.

Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Gleichverteilung hat den unten skizzierten Verlauf:


Es ergeben sich hier für den Mittelwert $m_1$ = ${\rm E}[X]$ und die Varianz $σ_2$ = ${\rm E}[(X – m_1)^2]$ folgende Gleichungen:

Unten dargestellt ist die Verteilungsfunktion (VTF):

Diese ist für $x ≤ x_{\rm min}$ identisch 0, steigt danach linear an und erreicht bei $x$ = $x_{\rm max}$ den VTF–Endwert 1. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallgröße $X$ einen Wert zwischen 3 und 4 annimmt, kann sowohl aus der WDF als auch aus der VTF ermittelt werden:

Weiterhin ist zu beachten:

  • Das Ergebnis $X$ = 0 ist bei dieser Zufallsgröße ausgeschlossen ⇒ Pr($X$ = 0) = 0.
  • Das Ergebnis $X$ = 4 ist dagegen durchaus möglich. Trotzdem gilt auch hier Pr($X$ = 4) = 0.

Entropie wertkontinuierlicher Zufallsgrößen nach Quantisierung

Wir betrachten nun eine wertkontinuierliche Zufallsgröße $X$ im Bereich von 0 bis 1.

  • Wir quantisieren die kontinuierliche Zufallsgröße $X$, um die bisherige Entropieberechnung weiter anwenden zu können. Die so entstehende diskrete (quantisierte) Größe nennen wir $Z$.
  • Die Quantisierungsstufenzahl sei $M$, so dass jedes Quantisierungsintervall $μ$ bei der vorliegenden WDF die Breite $Δ = 1/M$ aufweist. Die Intervallmitten bezeichnen wir mit $x_μ$.
  • Die Wahrscheinlichkeit $p_μ$ = Pr($Z$ = $z_μ$) bezüglich $Z$ ist gleich der Wahrscheinlichkeit, dass die kontinuierliche Zufallsgröße $X$ einen Wert zwischen $x_μ – Δ/2$ und $x_μ + Δ/2$ besitzt.
  • Zunächst setzen wir $M$ = 2 und verdoppeln anschließend $M$ in jeder Iteration. Dadurch wird die Quantisierung zunehmend feiner. Im $n$–ten Versuch gilt dann $M$ = $2^n$ und $Δ$ = $2^{–n}$.

Die Grafik zeigt die Ergebnisse der ersten drei Versuche für eine dreieckförmige WDF (zwischen 0 und 1):

  • $n = 1 ⇒ M = 2 ⇒ Δ = 1/2: H(Z) = 0.811$ bit,
  • $n = 2 ⇒ M = 4 ⇒ Δ = 1/4: H(Z) = 1.749$ bit,
  • $n = 3 ⇒ M = 8 ⇒ Δ = 1/8: H(Z) = 2.729$ bit.

Zudem können der Grafik noch folgende Größen entnommen werden, zum Beispiel für $Δ = 1/8$:

  • Die Intervallmitten liegen bei $x_1 = 1/16, x_2 = 3/16, ... , x_8 = 15/16 ⇒ x_μ = Δ · (μ – 1/2)$.
  • Die Intervallflächen ergeben sich zu $p_μ = Δ · f_X(x_μ) ⇒ p_8 = 1/8 · (7/8+1)/2 = 15/64$.
  • Damit erhält man $P_Z(Z) = (1/64, 3/64, 5/64, 7/64, 9/64, 11/64, 13/64, 15/64)$.


Die Ergebnisse dieses Experiments interpretieren wir wie folgt:

  • Die Entropie $H(Z)$ nimmt mit steigendem $M$ immer mehr zu.
  • Der Grenzwert von $H(Z)$ für $M → ∞ ⇒ Δ → 0$ ist unendlich.
  • Damit ist auch die Entropie $H(X)$ der wertkontinuierlichen Zufallsgröße $X$ unendlich groß.
  • Daraus folgt: Die bisherige Entropie–Definition versagt hier.


Zur Verifizierung unseres empirischen Ergebnisses gehen wir von folgender Gleichung aus:

  • Wir spalten nun $H(Z) = S_1 + S_2$ in zwei Summen auf:

Die Näherung $S_1 ≈ –\log_2 Δ$ gilt exakt nur im Grenzfall $Δ → 0$. Die angegebene Näherung für $S_2$ gilt ebenfalls nur für kleine $Δ → {\rm d}x$, so dass man die Summe durch das Integral ersetzen kann.

Verallgemeinerung: Nähert man die wertkontinuierliche Zufallsgröße $X$ mit der WDF $f_X(x)$ durch eine wertdiskrete Zufallsgröße $Z$ an, indem man eine (feine) Quantisierung mit der Intervallbreite $Δ$ durchführt, so erhält man für die Entropie der Zufallsgröße $Z$:

Das Integral beschreibt die differentielle Entropie $h(X)$ der wertkontinuierlichen Zufallsgröße $X$. Für den Sonderfall $Δ = 1/M = 2^{–n}$ kann die obige Gleichung auch wie folgt geschrieben werden:

  • Im Grenzfall $Δ → 0 ⇒ M → ∞ ⇒ n → ∞$ ist auch die Entropie der wertkontinuierlichen Zufallsgröße unendlich groß: $H(X) → ∞$.
  • Auch bei kleinerem $n$ stellt diese Gleichung lediglich eine Näherung für $H(Z)$ dar, wobei die differentielle Entropie $h(X)$ der wertkontinuierlichen Größe als Korrekturfaktor dient.

Wir betrachten wie im letzten Beispiel eine Dreieck–WDF (zwischen 0 und 1). Deren differentielle Entropie ergibt sich zu $h(X)$ = –0.279 bit – siehe Aufgabe A4.2. In der Tabelle ist die Entropie $H(Z)$ der mit $n$ Bit quantisierten Größe $Z$ angegeben. Man erkennt bereits für $n$ = 3 eine gute Übereinstimmung zwischen der Näherung (untere Zeile) und der exakten Berechnung.


Definition und Eigenschaften der differentiellen Entropie

Die differentielle Entropie $h(X)$ einer wertkontinuierlichen Zufallsgröße $X$ lautet mit der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion $f_X(x)$:

Hinzugefügt werden muss jeweils eine Pseudo–Einheit:

  • „nat” bei Verwendung von „ln” ⇒ natürlicher Logarithmus,
  • „bit” bei Verwendung von „log2” ⇒ Logarithmus dualis.


Während für die (herkömmliche) Entropie einer wertdiskreten Zufallsgröße $X$ stets $H(X) ≥ 0$ gilt, kann die differentielle Entropie $h(X)$ einer wertkontinuierlichen Zufallsgröße auch negativ sein. Daraus ist bereits ersichtlich, dass $h(X)$ im Gegensatz zu $H(X)$ nicht als „Unsicherheit” interpretiert werden kann.


Die Grafik zeigt die Wahrscheinlichkeitsdichte einer zwischen $x_{\rm min}$ und $x_{\rm max}$ gleichverteilten Zufallsgröße $X$. Für deren differentielle Entropie erhält man in „nat”:

Die Gleichung für die differentielle Entropie in „bit” lautet: $h(X) = \log_2 [x_{\rm max} – x_{ \rm min}]$.

Die Grafik zeigt anhand einiger Beispiele die numerische Auswertung des obigen Ergebnisses. Auf der nächsten Seite wird auf die Größen $h_1(X), ... , h_6(X)$ näher eingegangen.

Aus den Skizzen des letzten Beispiels lassen sich wichtige Eigenschaften der differentiellen Entropie $h(X)$ ablesen:

  • Die differentielle Entropie wird durch eine WDF–Verschiebung (um $k$) nicht verändert:
  • $h(X)$ ändert sich durch Stauchung/Spreizung der WDF um den Faktor $k ≠ 0$ wie folgt:


Des Weiteren gelten viele der in Kapitel 3 für den wertdiskreten Fall hergeleitete Gleichungen auch für wertkontinuierliche Zufallsgrößen. Aus der folgenden Zusammenstellung erkennt man, dass oft nur das „$H$” durch ein „$h$” sowie die PMF durch die entsprechende WDF zu ersetzen ist.

  • Bedingte differentielle Entropie (englisch: Conditional Differential Entropy):
  • Differentielle Verbundentropie (englisch: Joint Differential Entropy):
  • Kettenregel der differentiellen Entropie:
  • Kullback–Leibler–Distanz zwischen den Zufallsgrößen $X$ und $Y$:

Differentielle Entropie einiger spitzenwertbegrenzter Zufallsgrößen

Die Tabelle zeigt die Ergebnisse für drei beispielhafte Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen $f_X(x)$. Diese sind alle spitzenwertbegrenzt, das heißt, es gilt jeweils $|X| ≤ A$.

Bei Spitzenwertbegrenzung kann man die differentielle Entropie stets wie folgt darstellen:

Das Argument $Γ_A · A$ ist unabhängig davon, welchen Logarithmus man verwendet. Anzufügen ist

  • bei Verwendung von „ln” ist die Pseudo–Einheit „nat”,
  • bei Verwendung von „log2” ist die Pseudo–Einheit „bit”.

Theorem: Unter der Nebenbedingung Spitzenwertbegrenzung (englisch: Peak Constraint) ⇒ also WDF $f_X(x) = 0$ für $|x| > A$ – führt die Gleichverteilung zur maximalen differentiellen Entropie:

Beweis

Das Theorem bedeutet gleichzeitig, dass bei jeder anderen spitzenwertbegrenzten WDF (außer der Gleichverteilung) der Kennparameter $Γ_A$ kleiner als 2 sein wird.

  • Für die symmetrische Dreieckverteilung ergibt sich nach obiger Tabelle $Γ_A = e^{1/2} ≈ 1.649$.
  • Beim einseitigen Dreieck (zwischen 0 und $A$) ist demgegenüber $Γ_A$ nur halb so groß.
  • Auch für jedes andere Dreieck (Breite $A$, Spitze beliebig zwischen 0 und $A$) gilt $Γ_A ≈ 0.824$.

Die jeweils zweite $h(X)$–Angabe und die Kenngröße $Γ_L$ eignet sich dagegen für den Vergleich von Zufallsgrößen bei Leistungsbegrenzung – siehe nächste Seite. Unter dieser Nebenbedingung ist die symmetrische Dreieckverteilung $(Γ_L ≈ 16.31)$ besser als die Gleichverteilung $(Γ_L = 12)$.


Differentielle Entropie einiger leistungsbegrenzter Zufallsgrößen

Die differentielle Entropie $h(X)$ für drei beispielhafte Dichtefunktionen $f_X(x)$, die alle die gleiche Varianz $σ_2 = {\rm E}[|X –m_x|^2]$ ⇒ Streuung $σ$ aufweisen, sind der folgenden Tabelle zu entnehmen:

  • Gaußverteilung ⇒ siehe Buch „Stochastische Signaltheorie”, Kapitel 3.5,
  • Laplaceverteilung ⇒ siehe Buch „Stochastische Signaltheorie”, Kapitel 3.6,
  • Exponentialverteilung ⇒ siehe Buch „Stochastische Signaltheorie”, Kapitel 3.6.

Die differentielle Entropie lässt sich bei allen diesen Beispielen als

darstellen. Das Ergebnis unterscheidet sich nur durch die Pseudo–Einheit „nat” bei Verwendung von „ln” bzw. „bit” bei Verwendung von „log2”.

Theorem: Unter der Nebenbedingung der Leistungsbegrenzung (englisch: Power Constraint) führt die Gaußverteilung

unabhängig vom Mittelwert $m_1$ zur maximalen differentiellen Entropie:

Beweis


Dies bedeutet gleichzeitig, dass für jede andere WDF als die Gaußverteilung $Γ_L < 2πe ≈ 17.08$ gelten muss. Beispielsweise ergibt sich der Kennwert $Γ_L = 6e ≈ 16.31$ für die Dreieckverteilung, $Γ_L = 2e^2 ≈ 14.78$ für die Laplaceverteilung und $Γ_L = 12$ für die Gleichverteilung.

WDF–Herleitung für maximale differentielle Entropie

Beweis für Spitzenwertbegrenzung ⇒ $\mathbf{|X| ≤ A}$: Unter der Nebenbedingung des Spitzenwertbegrenzung gilt für die differentielle Entropie:

Von allen möglichen Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen $f_X(x)$, die die Bedingung

erfüllen, ist nun diejenige Funktion $g_X(x)$ gesucht, die zur maximalen differentiellen Entropie $h(X)$ führt. Zur Herleitung benutzen wir das Verfahren der Lagrange–Multiplikatoren:

  • Wir definieren die Lagrange–Kenngröße $L$ in der Weise, dass darin sowohl $h(X)$ als auch die Nebenbedingung $|X| ≤ A$ enthalten sind:
  • Wir setzen allgemein $f_X(x) = g_X(x) + ε · ε_X(x)$, wobei $ε_X(x)$ eine beliebige Funktion darstellt, mit der Einschränkung, dass die WDF–Fläche gleich 1 sein muss. Damit erhalten wir:
  • Die bestmögliche Funktion ergibt sich dann, wenn es für $ε = 0$ eine stationäre Lösung gibt:
  • Diese Bedingungsgleichung ist unabhängig von $ε_X$ nur dann zu erfüllen, wenn gilt:

Resümee: Die maximale differentielle Entropie ergibt sich unter der Nebenbedingung $\mathbf{|X| ≤ A}$ für die gleichverteilte Zufallsgröße (englisch: Uniform PDF):

Jede andere Zufallsgröße mit der WDF–Eigenschaft $f_X(|x| > A)$ = 0 führt zu einer kleineren differentiellen Entropie, gekennzeichnet durch den Parameter $Γ_A$ < 2.


Beweis für Leistungsbegrenzung ⇒ $\mathbf{{\rm E}[|X – m_1|^2] ≤ σ^2}$: Vorneweg zur Begriffserklärung: Eigentlich wird nicht die Leistung ⇒ das zweite Moment $m_2$ begrenzt, sondern das zweite Zentralmoment ⇒ Varianz $μ_2 = σ^2$. Lassen wir nur mittelwertfreie Zufallsgrößen zu, so umgehen wir das Problem. Damit lautet die Laplace–Kenngröße:

Nach ähnlichem Vorgehen wie im Fall der Spitzenwertbegrenzung erhält man das Ergebnis, dass die „bestmögliche” WDF $g_X(x)$ proportinonal zu ${\rm exp}(–λ_2 · x^2)$ sein muss ⇒ Gaußverteilung:

Wir verwenden hier aber für den expliziten Beweis zur Abwechslung die Kullback–Leibler–Distanz zwischen einer geeigneten allgemeinen WDF $f_X(x)$ und der Gauß–WDF $g_X(x)$:

Zur Vereinfachung wurde hier der natürliche Logarithmus verwendet. Damit erhalten wir:

Das erste Integral ist definitionsgemäß gleich 1 und das zweite Integral ergibt $σ^2$:

Da auch bei wertkontinuierlichen Zufallsgrößen die Kullback–Leibler–Distanz größer oder gleich 0 ist, erhält man nach Verallgemeinerung (ln ⇒ log):

Das Gleichzeichen gilt nur, wenn die Zufallsgröße $X$ gaußverteilt ist.

Resümee: Die maximale differentielle Entropie unter der Nebenbedingung $\mathbf{|X – m_1|^2 ≤ σ^2}$ ergibt sich für die Gaußverteilung (englisch: Gaussian PDF) unabhängig vom Mittelwert $m_1$:

Jede andere wertkontinuierliche Zufallsgröße $X$ mit Varianz ${\rm E}[|X – m_1|^2] ≤ σ^2$ führt zu einer kleineren differentiellen Entropie, gekennzeichnet durch die Kenngröße $Γ_L < 2πe$.


Aufgaben zu Kapitel 4.1