Distanzeigenschaften und Fehlerwahrscheinlichkeitsschranken

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Freie Distanz vs. Minimale Distanz


Eine wichtige Kenngröße hinsichtlich der Fehlerwahrscheinlichkeit linearer Blockcodes ist die minimale Distanz zwischen zwei Codeworten:

\[d_{\rm min}(\mathcal{C}) = \min_{\substack{\underline{x},\hspace{0.05cm}\underline{x}' \hspace{0.05cm}\in \hspace{0.05cm} \mathcal{C} \\ {\underline{x}} \hspace{0.05cm}\ne \hspace{0.05cm} \underline{x}'}}\hspace{0.1cm}d_{\rm H}(\underline{x}, \hspace{0.05cm}\underline{x}') = \min_{\substack{\underline{x} \hspace{0.05cm}\in \hspace{0.05cm} \mathcal{C} \\ {\underline{x}} \hspace{0.05cm}\ne \hspace{0.05cm} \underline{0}}}\hspace{0.1cm}w_{\rm H}(\underline{x}) \hspace{0.05cm}.\]

Der zweite Gleichungsteil ergibt sich aus der Tatsache, dass jeder lineare Code auch das Nullwort $(\underline{0})$ beinhaltet. Zweckmäßigerweise setzt man deshalb $\underline{x}' = \underline{0}$, so dass die Hamming–Distanz $d_{\rm H}(\underline{x}, \ \underline{0})$ das gleiche Ergebnis liefert wie das Hamming–Gewicht $w_{\rm H}(\underline{x})$.

Codewort des $(7, 4, 3)$–Hamming–Codes

$\text{Beispiel 1:}$  Die Tabelle zeigt die 16 Codeworte des (7, 4, 3)–Hamming–Codes.

  • Alle Codeworte außer dem Nullwort $(\underline{0})$ beinhalten mindestens drei Einsen   ⇒   $d_{\rm min} = 3$.
  • Es gibt sieben Codeworte mit drei Einsen, sieben mit vier Einsen und je eines ohne Einsen bzw. mit sieben Einsen.


Die freie Distanz $d_{\rm F}$ eines Faltungscodes (Convolution Code   ⇒   ${\rm CC}$) unterscheidet sich formelmäßig nicht von der minimalen Distanz eines linearen Blockcodes:

\[d_{\rm F}(\mathcal{CC}) = \min_{\substack{\underline{x},\hspace{0.05cm}\underline{x}' \hspace{0.05cm}\in \hspace{0.05cm} \mathcal{CC} \\ {\underline{x}} \hspace{0.05cm}\ne \hspace{0.05cm} \underline{x}'}}\hspace{0.1cm}d_{\rm H}(\underline{x}, \hspace{0.05cm}\underline{x}') = \min_{\substack{\underline{x} \hspace{0.05cm}\in \hspace{0.05cm} \mathcal{CC} \\ {\underline{x}} \hspace{0.05cm}\ne \hspace{0.05cm} \underline{0}}}\hspace{0.1cm}w_{\rm H}(\underline{x}) \hspace{0.05cm}.\]

In der Literatur wird anstelle von $d_{\rm F}$ teilweise auch $d_{∞}$ verwendet.

  • Jede Codesequenz $\underline{x}$ beschreibt einen Pfad durch das Trellis. Die freie Distanz ist dabei das kleinstmögliche Hamming–Gewicht eines solchen Pfades (mit Ausnahme des Nullpfades).

Die Grafik zeigt drei der unendlich vielen Pfade mit dem minimalen Hamming–Gewicht $w_{\rm H, \ min}(\underline{x}) = d_{\rm F} = 5$.

Einige Pfade mit $w(\underline{x}) = d_{\rm F}$

Pfadgewichtsfunktion


Für jeden linearen Blockcode lässt sich wegen der endlichen Anzahl an Codeworten $\underline{x}$ in einfacher Weise eine Gewichtsfunktion angeben. Für das Beispiel 1 auf der letzten Seite lautet diese:

\[W(X) = 1 + 7 \cdot X^{3} + 7 \cdot X^{4} + X^{7}\hspace{0.05cm}.\]

Bei einem (nicht terminierten) Faltungscode kann keine solche Gewichtsfunktion angegegeben werden, da es unendlich viele, unendlich lange Codesequenzen $\underline{x}$ gibt, und damit auch unendlich viele Trellispfade. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, gehen wir nun von folgenden Voraussetzungen aus:

  • Als Bezugsgröße für das Trellisdiagramm wählen wir stets den Pfad der Codesequenz $\underline{x} = \underline{0}$ und nennen diesen den Nullpfad $\varphi_0$.
  • Desweiteren betrachten wir nur noch solche Pfade $\varphi_j ∈ {\it \Phi}$, die alle zu einer vorgegebenen Zeit $t$ vom Nullpfad abweichen und irgendwann wieder zu diesem zurückkehren.

Obwohl nur ein Bruchteil aller Trellispfade zu dieser Menge ${\it \Phi}$ gehören, beinhaltet ${\it \Phi} = \{\varphi_1, \ \varphi_2, \ \varphi_3, \ ...\}$ noch immer eine unbegrenzte Menge an Pfaden. $\varphi_0$ gehört nicht zu dieser Menge.

Einige Pfade und ihre Pfadgewichte

Im obigen Trellis sind einige Pfade $\varphi_j ∈ {\it \Phi}$ eingezeichnet:

  • Der gelbe Pfad $\varphi_1$ gehört zur Sequenz $\underline{x}_1 = (11, 10, 11)$ mit dem Hamming–Gewicht $w_{\rm H}(\underline{x}_1) = 5$. Damit ist auch das Pfadgewicht $w(\varphi_1) = 5$. Aufgrund der Festlegung des Abzweigzeitpunktes $t$ hat nur noch dieser einzige Pfad $\varphi_1$ die freie Distanz $d_{\rm F} = 5$ zum Nullpfad   ⇒   $A_5 = 1$.
  • Für die beiden grünen Pfade mit den korrespondierenden Sequenzen $\underline{x}_2 = (11, 01, 01, 11)$ bzw. $\underline{x}_3 = (11, 10, 00, 10, 11)$ gilt $w(\varphi_2) = w(\varphi_3) = 6$. Kein anderer Pfad weist das Pfadgewicht $6$ auf. Wir berücksichtigen diese Tatsache durch den Koeffizienten $A_6 = 2$.
  • Eingezeichnet ist auch der graue Pfad $\varphi_4$, assoziiert mit der Sequenz $\underline{x}_4 = (11, 01, 10, 01, 11)$  ⇒  $w(\varphi_4) = 7$. Auch die Sequenzen $\underline{x}_5 = (11, 01, 01, 00, 10, 11), \ \underline{x}_6 = (11, 10, 00, 01, 01, 11)$ und $\underline{x}_7 = (11, 10, 00, 10, 00, 10, 11)$ weisen jeweils das gleiche Pfadgewicht $7$ auf   ⇒   $A_7 = 4$.

Damit lautet die Pfadgewichtsfunktion:

\[T(X) = A_5 \cdot X^5 + A_6 \cdot X^6 + A_7 \cdot X^7 + \text{...} \hspace{0.1cm}= X^5 + 2 \cdot X^6 + 4 \cdot X^7+ \text{...}\hspace{0.1cm} \hspace{0.05cm}.\]

Die Definition dieser Funktion $T(X)$ lautet:

$\text{Definition:}$  Für die Pfadgewichtsfunktion (englisch: Path Weight Enumerator Function, PWEF) eines Faltungscodes gilt:

\[T(X) = \sum_{\varphi_j \in {\it \Phi} }\hspace{0.1cm} X^{w(\varphi_j) } \hspace{0.1cm}=\hspace{0.1cm} \sum_{w\hspace{0.05cm} =\hspace{0.05cm} d_{\rm F} }^{\infty}\hspace{0.1cm} A_w \cdot X^w \hspace{0.05cm}.\]
  • ${\it \Phi}$ bezeichnet die Menge aller Pfade an, die den Nullpfad $\varphi_0$ genau zum festgelegten Zeitpunkt $t$ verlassen und (irgendwann) später zu diesem zurückkehren.
  • Gemäß dem zweiten Gleichungsteil sind die Summanden nach ihren Pfadgewichten $w$ geordnet, wobei $A_w$ die Anzahl der Pfade mit Pfadgewicht $w$ bezeichnet. Die Summe beginnt mit $w = d_{\rm F}$.
  • Das Pfadgewicht $w(\varphi_j)$ ist gleich dem Hamming–Gewicht (Anzahl der Einsen) der zum Pfad $\varphi_j$ assoziierten Codesequenz $\underline{x}_j$:
\[w({\varphi_j) = w_{\rm H}(\underline {x} }_j) \hspace{0.05cm}.\]


Hinweis: Die für die linearen Blockcodes definierte Gewichtsfunktion $W(X)$ und die hier definierte Pfadgewichtsfunktion $T(X)$ weisen viele Gemeinsamkeiten auf, sie sind jedoch nicht identisch.


Wir betrachten nochmals die Gewichtsfunktion des $(7, 4, 3)$–Hamming–Codes:

\[W(X) = 1 + 7 \cdot X^{3} + 7 \cdot X^{4} + X^{7},\]

und die Pfadgewichtsfunktion unseres Standard–Faltungscodierers:

\[T(X) = X^5 + 2 \cdot X^6 + 4 \cdot X^7+ 8 \cdot X^8+ \text{...} \]

Auffallend ist die „$1$” in der ersten Gleichung, die in der zweiten Gleichung fehlt. Das heißt: Bei den linearen Blockcodes wird das Bezugs–Codewort $\underline{x}_i = \underline{0}$ mitgezählt, wohingegen die Nullcodesequenz $\underline{x}_i = \underline{0}$ bzw. der Nullpfad $\varphi_0$ bei den Faltungscodes ausgeschlossen wird.

$\text{Persönliche Meinung des Autors:}$  Man hätte man $W(X)$ ebenfalls ohne die „$1$” definieren können. Damit wäre unter anderem vermieden worden, dass sich die Bhattacharyya–Schranke für lineare Blockcodes und für Faltungscodes durch „$-1$” unterscheiden, wie aus den folgenden Gleichungen hervorgeht:



Die Pfadgewichtsfunktion $T(X)$ liefert nur Informationen hinsichtlich der Gewichte der Codesequenz $\underline{x}$. Mehr Informationen erhält man, wenn zusätzlich auch die Gewichte der Informationssequenz $\underline{u}$ erfasst werden. Man benötigt dann zwei Formalparameter $X$ und $U$, wie aus der Definition auf der folgenden Seite hervorgeht.

Erweiterte Pfadgewichtsfunktion


$\text{Definition:}$  Die erweiterte Pfadgewichtsfunktion (englisch: Enhanced Path Weight Enumerator Function, EPWEF) lautet:

\[T_{\rm enh}(X, U) = \sum_{\varphi_j \in {\it \Phi} }\hspace{0.1cm} X^{w(\varphi_j)} \cdot U^{ { u}(\varphi_j)} \hspace{0.1cm}=\hspace{0.1cm} \sum_{w} \sum_{u}\hspace{0.1cm} A_{w, \hspace{0.05cm}u} \cdot X^w \cdot U^{u} \hspace{0.05cm}.\]

Es gelten alle Angaben zur $T(X)$–Definition auf der letzten Seite. Zusätzlich ist zu beachten:

  • Das Pfadeingangsgewicht $u(\varphi_j)$ ist gleich dem Hamming–Gewicht der zum Pfad $\varphi_j$ assoziierten Informationssequenz $\underline{u}_j$. Es wird als Potenz des Formalparameters $U$ ausgedrückt.
  • Der Koeffizient $A_{w, \ u}$ bezeichnet die Anzahl der Pfade $\varphi_j$ mit dem Pfadausgangsgewicht $w(\varphi_j)$ und dem Pfadeingangsgewicht $u(\varphi_j)$. Als Laufvariable für den zweiten Anteil wird $u$ verwendet.
  • Setzt man in der erweiterten Pfadgewichtsfunktion den Formalparameter $U = 1$, so ergibt sich die ursprüngliche Gewichtsfunktion $T(X)$ gemäß der Definition auf der letzten Seite.

Bei vielen (und allen relevanten) Faltungscodes lässt sich obere Gleichung noch vereinfachen:

\[T_{\rm enh}(X, U) =\hspace{0.1cm} \sum_{w = d_{\rm F} }^{\infty}\hspace{0.1cm} A_w \cdot X^w \cdot U^{u} \hspace{0.05cm}.\]


$\text{Beispiel 2:}$  Die erweiterte Pfadgewichtsfunktion unseres Standardcodieres lautet somit:

\[T_{\rm enh}(X, U) = U \cdot X^5 + 2 \cdot U^2 \cdot X^6 + 4 \cdot U^3 \cdot X^7+ \text{ ...} \hspace{0.1cm} \hspace{0.05cm}.\]

Vergleicht man dieses Ergebnis mit dem unten dargestellten Trellis, so erkennt man:

  • Der gelb hinterlegte Pfad – gekennzeichnet durch $X^5$ – setzt sich aus einem blauen Pfeil $(u_i = 1)$ und zwei roten Pfeilen $(u_i = 0)$ zusammen. Somit wird aus $X^5$ der erweiterte Term $UX^5$.
  • Die Sequenzen der beiden grünen Pfade sind $\underline{u}_2 = (1, 1, 0, 0)$  ⇒  $\underline{x}_2 = (11, 01, 01, 11)$ sowie $\underline{u}_3 = (1, 0, 1, 0, 0)$  ⇒  $\underline{x}_3 = (11, 10, 00, 10, 11)$. Daraus ergibt sich der zweite Term $2 \cdot U^2X^6$.
  • Der graue Pfad (und die drei nicht gezeichneten Pfade) ergeben zusammen den Beitrag $4 \cdot U^3X^7$. Jeder dieser Pfade beinhaltet drei blaue Pfeile  ⇒  drei Einsen in der zugehörigen Informationssequenz.
Einige Pfade und ihre Pfadgewichte


Pfadgewichtsfunktion aus Zustandsübergangsdiagramm


Es gibt eine elegante Methode, um die Pfadgewichtsfunktion $T(X)$ und deren Erweiterung direkt aus dem Zustandsübergangsdiagramm zu bestimmen. Dies soll hier und auf den folgenden Seiten am Beispiel unseres Standardcodierers demonstriert werden.

Zunächst muss dazu das Zustandsübergangsdiagramm umgezeichnet werden. Die Grafik zeigt dieses links in der bisherigen Form als Diagramm (A), während rechts das neue Diagramm (B) angegeben ist.

Zustandsübergangsdiagramm in zwei verschiedenen Varianten

Man erkennt:

  • Der Zustand $S_0$ wird aufgespalten in den Startzustand $S_0$ und den Endzustand $S_0'$. Damit lassen sich alle Pfade des Trellisdiagramms, die im Zustand $S_0$ beginnen und irgendwann zu diesem zurückkehren, auch im rechten Graphen (B) nachvollziehen. Ausgeschlossen sind dagegen direkte Übergänge von $S_0$ nach $S_0'$ und damit auch der Nullpfad (Dauer–$S_0$).
  • Im Diagramm (A) sind die Übergänge anhand der Farben Rot (für $u_i = 0$) und Blau (für $u_i = 1$) unterscheidbar, und die Codeworte $\underline{x}_i ∈ \{00, 01, 10, 11\}$ sind an den Übergängen vermerkt. Im neuen Diagramm (B) werden $(00)$ durch $X^0 = 1$ und $(11)$ durch $X^2$ ausgedrückt. Die Codeworte $(01)$ und $(10)$ sind nun nicht mehr unterscheidbar, sondern werden einheitlich mit $X$ bezeichnet.
  • Anders formuliert: Das Codewort $\underline{x}_i$ wird nun als $X^w$ dargestellt, wobei $X$ eine dem Ausgang (der Codesequenz) zugeordnete Dummy–Variable ist und $w = w_{\rm H}(\underline{x}_i)$ das Hamming–Gewicht des Codewortes $\underline{x}_i$ angibt. Bei einem Rate–$1/2$–Code ist der Exponent $w$ entweder $0, 1$ oder $2$.
  • Ebenfalls verzichtet wird im Diagramm (B) auf die Farbcodierung. Das Informationsbit $u_i = 1$ wird nun durch $U^1 = U$ und das Informationsbit $u_i = 0$ durch $U^0 = 1$ gekennzeichnet. Die Dummy–Variable $U$ ist also der Eingangssequenz $\underline{u}$ zugeordnet.

Regeln zur Manipulation des Zustandsübergangsdiagramms


Ziel unserer Berechnungen wird es sein, den (beliebig komplizierten) Weg von $S_0$ nach $S_0'$ durch die erweiterte Pfadgewichtsfunktion $T_{\rm enh}(X, \ U)$ zu charakterisieren. Dazu benötigen wir Regeln, um den Graphen schrittweise vereinfachen zu können.

Erfassung serieller Übergänge

Serielle Übergänge

Zwei serielle Verbindungen – gekennzeichnet durch $A(X, \ U)$ und $B(X, \ U)$ – können durch eine einzige Verbindung mit dem Produkt dieser Bewertungen ersetzt werden.

Erfassung paralleler Übergänge

Parallele Übergänge Zwei parallele Verbindungen – gekennzeichnet durch $A(X, \ U)$ und $B(X, \ U)$ – werden durch die Summe ihrer Bewertungsfunktionen zusammengefasst.

Reduzierung eines Rings

Ring Die nebenstehende Konstellation kann durch eine einzige Verbindung ersetzt werden, wobei für die Ersetzung gilt:

\[E(X, U) = \frac{A(X, U) \cdot B(X, U)}{1- C(X, U)} \hspace{0.05cm}.\]


Reduzierung einer Rückkopplung

Rückkopplung Durch die Rückkopplung können sich hier zwei Zustände beliebig oft abwechseln. Für diese Konstellation gilt:

\[F(X, U) = \frac{A(X, U) \cdot B(X, U)\cdot C(X, U)}{1- C(X, U)\cdot D(X, U)} \hspace{0.05cm}.\]

Die hier angegebenen Gleichungen für Ring und Rückkopplung sind in Aufgabe 3.12Z zu beweisen.

$\text{Beispiel 3:}$  Die oben genannten Regeln sollen nun auf unser Standardbeispiel angewendet werden. In der Grafik sehen Sie links das modifizierte Zustandsübergangsdiagramm (B).

Zur Reduktion der Zustandsübergänge
  • Zunächst ersetzen wir den rot hinterlegten Umweg von $S_1$ nach $S_2$ über $S_3$ im Diagramm (B) durch die im Diagramm (C) eingezeichnete rote Verbindung $T_1(X, \hspace{0.05cm} U)$. Es handelt sich nach der oberen Klassifizierung um einen „Ring” mit den Beschriftungen $A = C = U \cdot X$ und $B = X$, und wir erhalten für die erste Reduktionsfunktion:
\[T_1(X, \hspace{0.05cm} U) = \frac{U \cdot X^2}{1- U \cdot X} \hspace{0.05cm}.\]
  • Nun fassen wir die parallelen Verbindungen entsprechend der blauen Hinterlegung im Diagramm (C) zusammen und ersetzen diese durch die blaue Verbindung im Diagramm (D). Die zweite Reduktionsfunktion lautet somit:
\[T_2(X, \hspace{0.05cm}U) = T_1(X, \hspace{0.05cm}U) + X = \frac{U X^2 + X \cdot (1-UX)}{1- U X} = \frac{X}{1- U X} \hspace{0.05cm}.\]
  • Der gesamte Graph (D) kann dann durch eine einzige Verbindung von $S_0$ nach $S_0'$ ersetzt werden. Nach der Rückkopplungsregel erhält man für die erweiterte Pfadgewichtsfunktion:
\[T_{\rm enh}(X, \hspace{0.05cm}U) = \frac{(U X^2) \cdot X^2 \cdot \frac{X}{1- U X} }{1- U \cdot \frac{X}{1- U X} } = \frac{U X^5}{1- U X- U X} = \frac{U X^5}{1- 2 \cdot U X} \hspace{0.05cm}.\]
  • Mit der Reihenentwicklung $1/(1 \, –x) = 1 + x + x^2 + x^3 + \ \text{...} \ $ lässt sich hierfür auch schreiben:
\[T_{\rm enh}(X, \hspace{0.05cm}U) = U X^5 \cdot \left [ 1 + 2 \hspace{0.05cm}UX + (2 \hspace{0.05cm}UX)^2 + (2 \hspace{0.05cm}UX)^3 + \text{...} \hspace{0.05cm} \right ] \hspace{0.05cm}.\]
  • Setzt man die formale Input–Variable $U = 1$, so erhält man die „einfache” Pfadgewichtsfunktion, die allein Aussagen über die Gewichtsverteilung der Ausgangssequenz $\underline{x}$ erlaubt:
\[T(X) = X^5 \cdot \left [ 1 + 2 X + 4 X^2 + 8 X^3 +\text{...}\hspace{0.05cm} \right ] \hspace{0.05cm}.\]
Das gleiche Ergebnis haben wir bereits aus dem Trellisdiagramm auf der der Seite Pfadgewichtsfunktion abgelesen. Dort gab es einen grauen Pfad mit Gewicht $5$, zwei gelbe Pfade mit Gewicht $6$ und vier grüne Pfade mit Gewicht $7$.


Burstfehlerwahrscheinlichkeit und Bhattacharyya–Schranke


Einfaches Übertragungsmodell inklusive Codierung/Decodierung

Das einfache Modell gemäß der Skizze gilt sowohl für lineare Blockcodes als auch für Faltungscodes.

Blockcodes

Bei den Blockcodes bezeichnen $\underline{u} = (u_1, \ \text{...} \hspace{0.05cm}, \ u_i, \ \text{...} \hspace{0.05cm}, \ u_k)$ und $\underline{\upsilon} = (v_1, \ \text{...} \hspace{0.05cm}, v_i, \ \text{...} \hspace{0.05cm} \ , \ v_k)$ die Informationsblöcke am Eingang und Ausgang des Systems.

Damit sind folgende Beschreibungsgrößen angebbar:

  • die Blockfehlerwahrscheinlichkeit:   ${\rm Pr(Blockfehler)} = {\rm Pr}(\underline{v} ≠ \underline{u}),$
  • die Bitfehlerwahrscheinlichkeit   ${\rm Pr(Bitfehler)} = {\rm Pr}(v_i ≠ u_i).$

Bei realen Übertragungssystemen ist aufgrund des thermischen Rauschens stets ${\rm Pr(Bitfehler)} > 0$. Weiter gilt:

\[{\rm Pr(Blockfehler)} > {\rm Pr(Bitfehler)} \hspace{0.05cm}.\]

Hierfür ein einfacher Erklärungsversuch: Entscheidet der Decoder in jedem Block der Länge $k \ \rm Bit$ genau ein $\rm Bit$ falsch, so beträgt die Bitfehlerwahrscheinlichkeit $= 1/k$ und die Blockfehlerwahrscheinlichkeit ist $1$.

Bei Faltungscodes ist dagegen die Blockfehlerwahrscheinlichkeit nicht angebbar, da hier $\underline{u} = (u_1, \ u_2, \ ...)$ und $\underline{\upsilon} = (\upsilon_1, \ \upsilon_2, \ ...)$ Sequenzen darstellen. Selbst der kleinstmögliche Codeparameter $k = 1$ führt hier zur Sequenzlänge $k' → ∞$, und die Blockfehlerwahrscheinlichkeit ergäbe sich stets zu $1$, selbst wenn die Bitfehlerwahrscheinlichkeit extrem klein (aber $≠ 0$) ist.

Nullpfad ${\it \Phi}_0$ und Abweichungspfade ${\it \Phi}_i$


Deshalb definieren wir bei Faltungscodes stattdessen die Burstfehlerwahrscheinlichkeit:

\[{\rm Pr(Burstfehler)} = {\rm Pr}\big \{{\rm Decoder\hspace{0.15cm} verl\ddot{a}sst\hspace{0.15cm} zur\hspace{0.15cm} Zeit}\hspace{0.15cm}t \hspace{0.15cm}{\rm den \hspace{0.15cm}korrekten \hspace{0.15cm}Pfad}\big \} \hspace{0.05cm}.\]

Um für die folgende Herleitung die Schreibweise zu vereinfachen, gehen wir stets von der Nullsequenz $(\underline{0})$ aus, die im gezeichneten Trellis als Nullpfad $\varphi_0$ rot dargestellt ist. Alle anderen eingezeichneten Pfade $\varphi_1, \ \varphi_2, \ \varphi_3, \ ... \ $ (und noch viele mehr) verlassen $\varphi_0$ zur Zeit $t$. Sie alle gehören zur Pfadmenge ${\it \Phi}$  ⇒  „Viterbi–Decoder verlässt den korrekten Pfad zur Zeit $t$”, deren Wahrscheinlichkeit auf der nächsten Seite berechnet werden soll.

Burstfehlerwahrscheinlichkeit und Bhattacharyya–Schranke (2)


Wir gehen wie in Kapitel 1.6 von der paarweisen Fehlerwahrscheinlichkeit ${\rm Pr}[\varphi_0 → \varphi_i]$ aus, dass vom Decoder anstelle des Pfades $\varphi_0$ der Pfad $\varphi_i$ ausgewählt werden könnte. Alle betrachteten Pfade $\varphi_i$ haben gemein, dass sie den Nullpfad $\varphi_0$ zum Zeitpunkt $t$ verlassen; sie gehören alle zur Pfadmenge ${\it \Phi}$.

Zur Berechnung der Burstfehlerwahrscheinlichkeit


Die gesuchte Burstfehlerwahrscheinlichkeit ist gleich der folgenden Vereinigungsmenge:

\[{\rm Pr(Burstfehler)}= {\rm Pr}\left ([\varphi_{\hspace{0.02cm}0} \mapsto \varphi_{\hspace{0.02cm}1}] \hspace{0.05cm}\cup\hspace{0.05cm}[\varphi_{\hspace{0.02cm}0} \mapsto \varphi_{\hspace{0.02cm}2}]\hspace{0.05cm}\cup\hspace{0.05cm} ...\hspace{0.05cm} \right )= {\rm Pr} \left ( \cup_{\varphi_{\hspace{0.02cm}i} \in {\it \Phi}} \hspace{0.15cm} [\varphi_{\hspace{0.02cm}0} \mapsto \varphi_{\hspace{0.02cm}i}] \right )\hspace{0.05cm}.\]

Eine obere Schranke hierfür bietet die so genannte Union–Bound entsprechend Kapitel 1.6:

\[{\rm Pr(Burstfehler)} \le \sum_{\varphi_{\hspace{0.02cm}i} \in {\it \Phi}}\hspace{0.15cm} {\rm Pr}\left [\varphi_{\hspace{0.02cm}0} \mapsto \varphi_{\hspace{0.02cm}i}\right ] = {\rm Pr(Union \hspace{0.15cm}Bound)} \hspace{0.05cm}.\]

Die paarweise Fehlerwahrscheinlichkeit kann mit der Bhattacharyya–Schranke abgeschätzt werden:

\[{\rm Pr}\left [\underline {0} \mapsto \underline {x}_{\hspace{0.02cm}i}\right ] \le \beta^{w_{\rm H}({x}_{\hspace{0.02cm}i})}\hspace{0.3cm}\Rightarrow \hspace{0.3cm} {\rm Pr}\left [\varphi_{\hspace{0.02cm}0} \mapsto \varphi_{\hspace{0.02cm}i}\right ] \le \hspace{0.05cm} \beta^{w(\varphi_i)}\hspace{0.05cm}.\]

$w_{\rm H}(\underline{x}_i)$ bezeichnet das Hamming–Gewicht der möglichen Codesequenz $\underline{x}_i, \ w(\varphi_i)$ das Pfadgewicht des entsprechenden Pfades $\varphi_i ∈ {\it \Phi}$ und $\beta$ den so genannten Bhattacharyya–Kanalparameter.

Durch Summation über alle Pfade und einen Vergleich mit der (einfachen) Pfadgewichtsfunktion $T(X)$ erhalten wir das Ergebnis:

\[{\rm Pr(Burstfehler)} \le T(X = \beta),\hspace{0.5cm}{\rm mit}\hspace{0.5cm} T(X) = \sum_{\varphi_{\hspace{0.02cm}i} \in {\it \Phi}}\hspace{0.15cm} \hspace{0.05cm} X^{w(\varphi_i)}\hspace{0.05cm}.\]

: Für unseren Standardcodierer  ⇒  $R = 1/2, \ m = 2, \ \mathbf{G}(D) = (1 + D + D^2, \ 1 + D)$ haben wir folgende Pfadgewichtsfunktion erhalten, siehe Theorieteil, Seite 2a:

\[T(X) = X^5 + 2 \cdot X^6 + 4 \cdot X^7 + ... \hspace{0.1cm} = X^5 \cdot ( 1 + 2 \cdot X + 4 \cdot X^2+ ... \hspace{0.1cm}) \hspace{0.05cm}.\]

Mit der Reihenentwicklung $1/(1 \, –x) = 1 + x + x^2 + x^3 + \ ... \ $ kann hierfür auch geschrieben werden:

\[T(X) = \frac{X^5}{1-2 \cdot X} \hspace{0.05cm}.\]

Das BSC–Modell liefert mit der Verfälschungswahrscheinlichkeit $\epsilon$ folgende Bhattacharyya–Schranke:

\[{\rm Pr(Burstfehler)} \le T(X = \beta) = T( X = 2 \cdot \sqrt{\varepsilon \cdot (1-\varepsilon)}) = \frac{(2 \cdot \sqrt{\varepsilon \cdot (1-\varepsilon)})^5}{1- 4\cdot \sqrt{\varepsilon \cdot (1-\varepsilon)}}\hspace{0.05cm}.\]

In Aufgabe A3.14 soll diese Gleichung numerisch ausgewertet werden.


Bitfehlerwahrscheinlichkeit und Viterbi–Schranke (1)


Abschließend wird eine obere Schranke für die Bitfehlerwahrscheinlichkeit angegeben. Entsprechend der Grafik gehen wir wie [Liv10] von folgenden Gegebenheiten aus:

Zur Definition der Beschreibungsgrößen $L$, $N$ und $H$


  • Gesendet wurde die Nullsequenz $\underline{x} = \underline{0}$ ⇒ Pfad $\varphi_0$.
  • Die Dauer einer Pfadabweichung (englisch: Error Burst Duration) wird mit $L$ bezeichnet.
  • Den Abstand zweier Bursts (englisch: Inter–Burst Time) nennen wir $N$.
  • Das Hamming–Gewicht des Fehlerbündels sei $H$.

Für einen Rate–$1/n$–Faltungscode ⇒ $k = 1$, also einem Informationsbit pro Takt, lässt sich aus den Erwartungswerten $E[L], \ E[N]$ und $E[H]$ der oben definierten Zufallsgrößen eine obere Schranke für die Bitfehlerwahrscheinlichkeit angeben:

\[{\rm Pr(Bitfehler)} = \frac{{\rm E}[H]}{{\rm E}[L] + {\rm E}[N]}\hspace{0.15cm} \le \hspace{0.15cm} \frac{{\rm E}[H]}{{\rm E}[N]} \hspace{0.05cm}.\]

Hierbei ist vorausgesetzt, dass die (mittlere) Dauer eines Fehlerbündels in der Praxis sehr viel kleiner ist als der zu erwartende Abstand zweier Bündel. Weiter kann gezeigt werden, dass die mittlere Inter–Burst Time $E[N]$ gleich dem Kehrwert der Burstfehlerwahrscheinlichkeit ist, während der Erwartungswert im Zähler wie folgt abgeschätzt:

\[{\rm E}[H] \le \frac{1}{\rm Pr(Burstfehler)}\hspace{0.1cm} \cdot \sum_{\varphi_{\hspace{0.02cm}i} \in {\it \Phi}}\hspace{0.05cm} \hspace{0.05cm} u(\varphi_i) \cdot \beta^{w(\varphi_i)} \hspace{0.05cm}.\]

Bei der Herleitung dieser Schranke in [Liv10] werden die paarweise Fehlerwahrscheinlichkeit ${\rm Pr}[\varphi_0 → \varphi_i]$ sowie die Bhattacharyya–Abschätzung verwendet. Damit erhält man mit

  • dem Pfadeingangsgewicht $u(\varphi_i),$
  • dem Pfadausgangsgewicht $w(\varphi_i),$
  • dem Bhattacharyya–Parameter $\beta$.

die folgende Abschätzung für die Bitfehlerwahrscheinlichkeit:

\[{\rm Pr(Bitfehler)} \hspace{0.05cm} \le \sum_{\varphi_{\hspace{0.02cm}i} \in {\it \Phi}}\hspace{0.05cm} \hspace{0.01cm} u(\varphi_i) \cdot \beta^{w(\varphi_i)} \hspace{0.05cm}.\]

Man nennt diese Abschätzung die Viterbi–Schranke.

Bitfehlerwahrscheinlichkeit und Viterbi–Schranke (2)


Wir erinnern uns an die erweiterte Pfadgewichtsfunktion

\[T_{\rm enh}(X, U) = \sum_{\varphi_j \in {\it \Phi}}\hspace{0.1cm} X^{w(\varphi_j)} \cdot U^{{ u}(\varphi_j)} \hspace{0.05cm}.\]

Leitet man diese Funktion nach der Dummy–Eingangsvariablen $U$ ab, so erhält man

\[\frac {\rm d}{{\rm d}U}\hspace{0.2cm}T_{\rm enh}(X, U) = \sum_{\varphi_j \in {\it \Phi}}\hspace{0.1cm} { u}(\varphi_j) \cdot X^{w(\varphi_j)} \cdot U^{{ u}(\varphi_j)-1} \hspace{0.05cm}.\]

Schließlich setzen wir noch für die Dummy–Eingangsvariablen $U = 1$:

\[\left [ \frac {\rm d}{{\rm d}U}\hspace{0.2cm}T_{\rm enh}(X, U) \right ]_{\substack{ U=1}} = \sum_{\varphi_j \in {\it \Phi}}\hspace{0.1cm} { u}(\varphi_j) \cdot X^{w(\varphi_j)} \hspace{0.05cm}.\]

Man erkennt den Zusammenhang zum Ergebnis der letzten Seite.

Zusammenfassung: Die Bitfehlerwahrscheinlichkeit eines Faltungscodes kann mit der erweiterten Pfadgewichtsfunktion in geschlossener Form abgeschätzt werden:

\[{\rm Pr(Bitfehler)} \le {\rm Pr(Viterbi)} = \left [ \frac {\rm d}{{\rm d}U}\hspace{0.2cm}T_{\rm enh}(X, U) \right ]_{\substack{X=\beta \\ U=1}} \hspace{0.05cm}.\]

Man spricht von der Viterbi–Schranke. Dabei leitet man die erweiterte Pfadgewichtsfunktion nach dem zweiten Parameter $U$ ab und setzt dann $X = \beta$ und $U = 1$.

AWGN–Bitfehlerwahrscheinlichkeit von Faltungscodes


In Aufgabe A3.14 werden

  • die Viterbi–Schranke und
  • die Bhattacharyya–Schranke

für unseren Rate–$1/2$–Standardcode sowie das BSC–Modell numerisch ausgewertet.

  • Die roten Kreise kennzeichnen die Bitfehlerrate für den gleichen Code $(m = 2)$ beim AWGN–Kanal.

Die Grafik verdeutlicht die gute Korrekturfähigkeit der Faltungscodes. Insbesondere Codes mit großem Gedächtnis $m$ führen zu großen Gewinnen gegenüber uncodierter Übertragung (gestrichelte Kurve).

Aufgaben


A3.12 Pfadgewichtsfunktion

Zusatzaufgaben:3.12 Ring und Rückkopplung

A3.13 Nochmals Tenh(X, U) und T(X)

A3.14 Faltungscodes: Schranken