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Sprachcodierung

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Verschiedene Sprachcodierverfahren


Jedem GSM-Teilnehmer steht maximal die Netto–Datenrate  22.8 kbit/s  zur Verfügung, während im ISDN–Festnetz mit einer Datenrate von  64 kbit/s  (bei  8  Bit Quantisierung)  bzw.  104 kbit/s  (bei 13 Bit Quantisierung)  gearbeitet wird. Aufgabe der Sprachcodierung bei GSM ist die Beschränkung der Datenmenge zur Sprachsignalübertragung auf  22.8 kbit/s  und eine bestmögliche Reproduktion des Sprachsignals auf der Empfängerseite. Die Funktionen des GSM–Coders und des GSM–Decoders sind meist in einer Funktionseinheit zusammengefasst, die als „Codec” bezeichnet wird.

Zur Sprachcodierung und –Decodierung werden verschiedene Signalverarbeitungsverfahren angewandt:

  • Der  GSM Fullrate Vocoder  (deutsch:  GSM–Vollraten–Sprachcodec)  wurde 1991 aus einer Kombination von drei Kompressionsmethoden für den GSM–Funkkanal standardisiert. Er basiert auf  Linear Predictive Coding  (LPC) in Verbindung mit  Long Term Prediction  (LTP) und  Regular Pulse Excitation  (RPE).
  • Der  GSM Halfrate Vocoder  (deutsch:  GSM–Halbraten–Sprachcodec)  wurde 1994 eingeführt und bietet die Möglichkeit, Sprache bei nahezu gleicher Qualität in einem halben Verkehrskanal (Datenrate  11.4 kbit/s)  zu übertragen.
  • Der  Enhanced Fullrate Vocoder  (EFR–Codec) wurde 1995 standardisiert und implementiert, ursprünglich für das nordamerikanische DCS1900–Netz. Der EFR–Codec bietet gegenüber dem herkömmlichen Vollraten–Codec eine bessere Sprachqualität.
  • Der  Adaptive Multi–Rate Codec  (AMR–Codec) ist der neueste Sprachcodec für GSM. Er wurde 1997 standardisiert und 1999 vom  Third Generation Partnership Project  (3GPP) auch als Standard–Sprachcodec für Mobilfunksysteme der dritten Generation wie UMTS vorgeschrieben.


Sie können sich die Qualität dieser Sprachcodierverfahren bei Sprache und Musik mit dem interaktiven Applet  Qualität verschiedener Sprach–Codecs   verdeutlichen. Diese Audio–Animation berücksichtigt auch den  Wideband–AMR, der 2007 für UMTS entwickelt und standardisiert wurde.

Im Gegensatz zum herkömmlichen AMR, bei dem das Sprachsignal auf den Frequenzbereich von  300 Hz  bis   3.4 kHz  bandbegrenzt wird, geht man beim WB–AMR von einem Wideband–Signal   (50 Hz – 7 kHz)  aus. Dieser ist somit auch für Musiksignale geeignet.


GSM Fullrate Vocoder – Vollraten–Codec


Beim  GSM–Vollraten-Codec  (englisch:  Full Rate Vocoder) wird das analoge Sprachsignal im Frequenzbereich zwischen  300 Hz  und  3400 Hz  zunächst mit  8 kHz  abgetastet und danach mit  13  Bit linear quantisiert (A/D–Wandlung), was eine Datenrate von  104 kbit/s  ergibt.

LPC–, LTP– und RPE–Parameter beim GSM-Vollraten-Codec

Die Sprachcodierung erfolgt bei diesem Verfahren in vier Schritten:

  • die Vorverarbeitung,
  • die Einstellung des Kurzzeitanalyse–Filters  (Linear Predictive Coding, LPC),
  • die Steuerung des Langzeitanalyse–Filters  (Long Term Prediction, LTP) und
  • die Codierung des Restsignals durch eine Folge von Pulsen  (Regular Pulse Excitation, RPE).


In der Grafik bezeichnet  s(n)  das im Abstand  TA=125 µs  abgetastete und quantisierte Sprachsignal nach der kontinuierlich durchgeführten Vorverarbeitung, wobei

  • das digitalisierte Mikrofonsignal von einem eventuell vorhandenen Gleichsignalanteil (Offset) befreit wird, um bei der Decodierung einen störenden Pfeifton von ca.  2.6 kHz  bei der Wiedergewinnung der höheren Frequenzanteile zu vermeiden, und
  • zusätzlich höhere Spektralanteile von  s(n)  angehoben werden, um die Rechengenauigkeit und Effektivität der nachfolgenden LPC–Analyse zu verbessern.


Die Tabelle zeigt die  76  Parameter  (260 Bit)  der Funktionseinheiten LPC, LTP und RPE. Die Bedeutung der einzelnen Größen wird auf den folgenden Seiten im Detail beschrieben.

Tabelle der Vollraten–Codec–Parameter

Alle Verarbeitungsschritte (LPC, LTP, RPE) erfolgen jeweils in Blöcken von  20 ms  Dauer über  160  Abtastwerte des vorverarbeiteten Sprachsignals, die man als  GSM–Sprachrahmen  bezeichnet.

  • Beim Vollraten–Codec werden pro Sprachrahmen insgesamt  260 Bit  erzeugt, woraus sich eine Datenrate von  13 kbit/s  ergibt.
  • Dies entspricht einer Kompression des Sprachsignals um den Faktor  8  (104 kbit/s bezogen auf 13 kbit/s).



Linear Predictive Coding – Kurzzeitprädiktion


Bausteine der GSM-Kurzzeitprädiktion (LPC)

Der Block  Linear Predictive Coding  (LPC) führt eine Kurzzeitprädiktion durch, das heißt, es werden die statistischen Abhängigkeiten der Abtastwerte untereinander in einem kurzen Bereich von einer Millisekunde ermittelt.
Es folgt eine Kurzbeschreibung des LPC–Prinzipschaltbildes:

  • Zunächst wird dazu das zeitlich unbeschränkte Signal  s(n)  in Intervalle  sR(n)  von  20 ms Dauer  (160 Samples) segmentiert. Die Laufvariable innerhalb eines solchen Sprachrahmens kann vereinbarungsgemäß die Werte  n=1, ... , 160  annehmen.
  • Im ersten Schritt der  LPC-Analyse  werden Abhängigkeiten zwischen den Abtastwerten durch die Autokorrelationskoeffizienten mit Indizes  0k8  quantifiziert:
φs(k)=E[sR(n)·sR(n+k)].
  • Aus diesen neun AKF–Werten werden mit Hilfe der so genannten  Schur–Rekursion  acht Reflexionskoeffizienten  rk  berechnet, die als Grundlage für die Einstellung der Koeffizienten des LPC–Analysefilters für den aktuellen Rahmen dienen.
  • Die Koeffizienten  rk  haben Werte zwischen  ±1. Schon geringe Änderungen der  rk  am Rand ihres Wertesbereichs bewirken große Änderungen für die Sprachcodierung. Die acht Reflexionswerte  rk  werden logarithmisch dargestellt   ⇒   LAR–Parameter (Log Area Ratio):
LAR(k)=ln 1rk1+rk,k=1,...,8.
  • Anschließend werden die acht LAR–Parameter entsprechend ihrer subjektiven Bedeutung durch unterschiedlich viele Bit quantisiert, codiert und zur Übertragung bereitgestellt. Die beiden ersten Parameter werden mit je sechs Bit, die beiden nächsten mit je fünf Bit, LAR(5)  und  LAR(6)  mit je vier Bit und die beiden letzten –   LAR(7)  und  LAR(8)–   mit je drei Bit dargestellt.
  • Bei fehlerfreier Übertragung kann am Empfänger aus den acht LPC–Parametern  (insgesamt  36  Bit)  mit dem entsprechenden LPC–Synthesefilter das ursprüngliche Signal  s(n)  wieder vollständig rekonstruiert werden, wenn man von den unvermeidbaren zusätzlichen Quantisierungsfehlern durch die digitale Beschreibung der LAR-Koeffizienten absieht.
  • Weiterhin wird mit Hilfe des LPC–Filters das Prädiktionsfehlersignal  eLPC(n)  gewonnen. Dieses ist gleichzeitig das Eingangssignal für die nachfolgende Langzeitprädiktion. Das LPC–Filter ist nicht rekursiv und hat nur ein kurzes Gedächtnis von etwa einer Millisekunde.


Beispiel 1:  Die Grafik aus  [Kai05][1]  zeigt oben einen Ausschnitt des Sprachsignals  s(n)  und dessen Zeit–Frequenzdarstellung. Unten ist das LPC–Prädiktionsfehlersignal  eLPC(n)  dargestellt.

LPC–Prädiktionsfehlersignal bei GSM (Zeit–Frequenzdarstellung)



Man erkennt aus diesen Bildern

  • die kleinere Amplitude von  eLPC(n)  gegenüber  s(n),
  • den deutlich reduzierten Dynamikumfang, und
  • das flachere Spektrum des verbleibenden Signals.


Long Term Prediction – Langzeitprädiktion


Bei der  Long Term Prediction  (LTP) wird die Eigenschaft des Sprachsignals ausgenutzt, dass es auch periodische Strukturen (stimmhafte Abschnitte) besitzt. Dieser Umstand wird dazu verwendet, um die im Signal vorhandene Redundanz zu reduzieren.

Bausteine der GSM-Langzeitprädiktion (LTP)
  • Die Langzeitprädiktion (LTP–Analyse und –Filterung) wird viermal pro Sprachrahmen, also alle  5 ms  durchgeführt.
  • Die vier Subblöcke bestehen aus jeweils 40 Samples und werden mit  i=1, ... , 4  nummeriert.


Es folgt eine Kurzbeschreibung gemäß dem obigen LTP–Prinzipschaltbild – siehe  [Kai05][1].

  • Das Eingangssignal ist das Ausgangssignal  eLPC(n)  der Kurzzeitprädiktion. Die Signale nach der Segmentierung in vier Subblöcken werden mit  ei(l)  bezeichnet, wobei jeweils  l=1,2, ... , 40  gilt.
  • Zu dieser Analyse wird die Kreuzkorrelationsfunktion  φee,i(k)  des aktuellen Subblocks  i  des LPC–Prädiktionsfehlersignals  ei(l)  mit dem rekonstruierten LPC–Restsignal  ei(l)  aus den drei vorherigen Teilrahmen berechnet. Das Gedächtnis dieses LTP–Prädiktors beträgt zwischen  5 ms  und  15 ms  und ist somit deutlich länger als das des LPC–Prädiktors  (1 ms).
  • ei(l)  ist die Summe aus dem LTP–Filter–Ausgangssignal  yi(l)  und dem Korrektursignal  eRPE,i(l), das von der folgenden Komponente  (Regular Pulse Excitation)  für den  i–ten Subblock bereitgestellt wird.
  • Der Wert von  k, für den die Kreuzkorrelationsfunktion  φee,i(k)  maximal wird, bestimmt die für jeden Subblock  i  optimale LTP–Verzögerung  N(i). Die Verzögerungen  N(1)  bis  N(4)  werden jeweils mit sieben Bit quantisiert und zur Übertragung bereitgestellt.
  • Der zu  N(i)  gehörige Verstärkungsfaktor  G(i)  – auch LTP–Gain  genannt – wird so bestimmt, dass der an der Stelle  N(i)  gefundene Subblock nach Multiplikation mit  G(i)  am besten zum aktuellen Teilrahmen  ei(l)  passt. Die Verstärkungsfaktoren  G(1)  bis  G(4)  werden jeweils mit zwei Bit quantisiert und ergeben zusammen mit  N(1), ..., N(4)  die  36  Bit für die acht LTP–Parameter.
  • Das Signal  yi(l)  nach LTP–Analyse und –Filterung ist ein Schätzsignal für das LPC–Signal  ei(l)  im  i–ten Subblock. Die Differenz zwischen beiden ergibt das LTP–Restsignal  eLTP,i(l), das an die nächste Funktionseinheit „RPE” weitergegeben wird.


Beispiel 2:  Die Grafik aus  [Kai05][1]  zeigt

  • oben das LPC–Prädiktionsfehlersignal  eLPC(n)  – gleichzeitig das LTP-Eingangssignal,
  • unten das Restfehlersignal  eLTP(n)  nach der Langzeitprädiktion.
LTP–Prädiktionsfehlersignal bei GSM (Zeit–Frequenzdarstellung)


Es wird nur ein Subblock betrachtet. Deshalb wird hier für die diskrete Zeit bei LPC und LTP der gleiche Buchstabe  n  verwendet.


Man erkennt aus diesen Darstellungen

  • die kleineren Amplituden von  eLTP(n)  gegenüber  eLPC(n)  und
  • den deutlich reduzierten Dynamikumfang von  eLTP(n),
  • besonders in periodischen, also stimmhaften Abschnitten.


Auch im Frequenzbereich zeigt sich eine Reduktion des Prädiktionsfehlersignals aufgrund der Langzeitprädiktion.


Regular Pulse Excitation – RPE–Codierung


Das Signal nach LPC– und LTP–Filterung ist bereits redundanz–reduziert, das heißt, es benötigt eine geringere Bitrate als das abgetastete Sprachsignal  s(n).

Bausteine der Regular Pulse Excitation (RPE) bei GSM
  • Nun wird in der nachfolgenden Funktionseinheit  Regular Pulse Excitation  (RPE) die Irrelevanz weiter verringert.
  • Das bedeutet:   Signalanteile, die für den subjektiven Höreindruck weniger wichtig sind, werden entfernt.


Zu diesem Blockschaltbild ist anzumerken:

  • Die RPE–Codierung wird jeweils für  5 ms–Teilrahmen  (40 Abtastwerte)  durchgeführt. Dies ist hier durch den Index  i  im Eingangssignal  eLTP,i(l)  angedeutet, wobei mit  i=1,2,3,4  wieder die einzelnen Subblöcke durchnummeriert sind.
  • Im ersten Schritt wird das LTP–Prädiktionsfehlersignal  eLTP,i(l)  durch ein Tiefpassfilter auf etwa ein Drittel der ursprünglichen Bandbreite – also auf  1.3 kHz  – bandbegrenzt. Dies ermöglicht in einem zweiten Schritt eine Reduktion der Abtastrate um ca. den Faktor  3.
  • So wird das Ausgangssignal  xi(l)  mit  l=1, ... , 40  durch Unterabtastung in vier Teilfolgen  xm,i(j)  mit  m=1, ... , 4  und  j=1, ... , 13  zerlegt. Diese Aufspaltung ist in der Grafik verdeutlicht.
  • Die Teilfolgen  xm,i(j)  beinhalten folgende Abtastwerte des Signals  xi(l):
    • m=1:   l=1, 4, 7, ... , 34, 37 (rote Punkte),
    • m=2:   l=2, 5, 8, ... , 35, 38 (grüne Punkte),
    • m=3:   l=3, 6, 9, ... , 36, 39 (blaue Punkte),
    • m=4:   l=4, 7, 10, ... , 37, 40 (ebenfalls rot, weitgehend identisch mit  m=1).


  • Für jeden Subblock  i  wird im Block  RPE Grid Selection  die Teilfolge  xm,i(j)  mit der höchsten Energie ausgewählt und der Index  Mi  der  optimalen Folge  mit zwei Bit quantisiert und als  M(i)   übertragen. Insgesamt benötigen die vier RPE–Teilfolgen–Indizes  M(1), ... ,  M(4)  somit acht Bit.
  • Von der optimalen Teilfolge für den Subblock  i  (mit Index  Mi)  wird das  Betragsmaximum  xmax,i  ermittelt, dieser Wert mit sechs Bit logarithmisch quantisiert und als  xmax(i)  zur Übertragung bereit gestellt. Insgesamt benötigen die vier RPE–Blockamplituden  24  Bit.
  • Zusätzlich wird für jeden Subblock  i  die optimale Teilfolge auf  xmax,i  normiert. Die so erhaltenen  13  Abtastwerte werden anschließend mit jeweils drei Bit quantisiert und als  Xj(i)  codiert übertragen. Die  4·13·3=156  Bit beschreiben den so genannten  RPE–Pulse.
  • Anschließend werden diese RPE–Parameter lokal wieder decodiert und als Signal  eRPE,i(l)  an das LTP–Synthesefilter im vorherigen Subblock zurückgeführt, woraus zusammen mit dem LTP–Schätzsignal  yi(l)  das Signal  ei(l)  erzeugt wird (siehe  LTP–Grafik).
  • Durch das Zwischenfügen von jeweils zwei Nullwerten zwischen zwei übertragenen RPE–Abtastwerten wird näherungsweise das Basisband von Null bis  1300 Hz  in den Bereich von  1300 Hz  bis  2600 Hz  in Kehrlage und von  2600 Hz  bis  3900 Hz  in Normallage gefaltet. Dies ist der Grund für die notwendige Gleichsignalbefreiung in der Vorverarbeitung. Sonst entstünde durch die beschriebene Faltungsoperation ein störender Pfeifton bei  2.6 kHz.


Halfrate Vocoder und Enhanced Fullrate Codec


Nach der Standardisierung des Vollraten–Codecs im Jahre 1991 ging es in der Folgezeit um die Entwicklung neuer Sprachcodecs mit zwei spezifischen Zielen, nämlich um

  • die bessere Ausnutzung der in GSM–Systemen verfügbaren Bandbreite, und
  • die Verbesserung der Sprachqualität.


Diese Entwicklung kann wie folgt zusammengefasst werden:

  • Bis 1994 wurde mit dem  Halfrate Vocoder  (deutsch:  Halbraten-Codec)  ein neues Verfahren entwickelt. Dieser hat eine Datenrate von  5.6 kbit/s  und bietet so die Möglichkeit, Sprache in einem halben Verkehrskanal bei annähernd gleicher Qualität zu übertragen. Dadurch können auf einem Zeitschlitz zwei Gespräche gleichzeitig abgewickelt werden. Der Halbraten–Codec wurde allerdings von den Mobilfunkbetreibern nur dann eingesetzt, wenn eine Funkzelle überlastet war. Inzwischen spielt der Halfrate–Codec keine Rolle mehr.
  • Um die Sprachqualität weiter zu verbessern, wurde 1995 der  Enhanced Fullrate Codec  (EFR–Codec) eingeführt. Dieses Sprachcodierverfahren – ursprünglich für das US–amerikanische DCS1900–Netz entwickelt – ist ein Vollraten–Codec mit der (etwas niedrigeren) Datenrate  12.2 kbit/s. Die Nutzung dieses Codecs muss natürlich vom Mobiltelefon unterstützt werden.
  • Statt der RPE–LTP–Komprimierung (Regular Pulse Excitation – Long Term Prediction) beim herkömmlichen Vollraten–Codec wird bei dieser Weiterentwicklung zudem  Algebraic Code Excitation Linear Prediction  (ACELP) angewandt, was eine deutlich bessere Sprachqualität und eine ebenfalls verbesserte Fehlererkennung und –verschleierung bietet. Nähere Informationen darüber finden Sie auf der übernächsten Seite.


Adaptive Multi–Rate Codec


Die bisher beschriebenen GSM–Codecs arbeiten hinsichtlich Sprach– und Kanalcodierung unabhängig von den Kanalbedingungen und der Netzauslastung stets mit einer festen Datenrate. 1997 wurde ein neues adaptives Sprachcodierverfahren für Mobilfunksysteme entwickelt und kurz darauf durch das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) nach Vorschlägen der Firmen Ericsson, Nokia und Siemens standardisiert. Bei den Forschungsarbeiten zum Systemvorschlag der Siemens AG war der Lehrstuhl für Nachrichtentechnik der TU München, der dieses Lerntutorial LNTwww zur Verfügung stellt, entscheidend beteiligt. Näheres finden Sie unter  [Hin02][2].

Der  Adaptive Multi–Rate Codec  – abgekürzt AMR – hat folgende Eigenschaften:

  • Er passt sich flexibel an die aktuellen Kanalgegebenheiten und an die Netzauslastung an, indem er entweder im Vollraten–Modus (höhere Sprachqualität) oder im Halbraten–Modus (geringere Datenrate) arbeitet. Daneben gibt es noch etliche Zwischenstufen.
  • Er bietet sowohl beim Vollraten– als auch beim Halbratenverkehrskanal eine verbesserte Sprachqualität, was auf die flexibel handhabbare Aufteilung der zur Verfügung stehenden Brutto–Kanaldatenrate zwischen Sprach– und Kanalcodierung zurückzuführen ist.
  • Er besitzt eine größere Robustheit gegenüber Kanalfehlern als die Codecs aus der Frühzeit der Mobilfunktechnik. Dies gilt besonders beim Einsatz im Vollraten–Verkehrskanal.


Der AMR–Codec stellt  acht verschiedene Modi  mit Datenraten zwischen  12.2 kbit/s  (244  Bit pro Rahmen von  20 ms)  und  4.75 kbit/s  (95 Bit pro Rahmen) zur Verfügung. Drei Modi spielen eine herausgehobene Rolle, nämlich

  • 12.2 kbit/s  – der verbesserte GSM–Vollraten–Codec (EFR-Codec),
  • 7.4 kbit/s  – die Sprachkompression gemäß dem US–amerikanischen Standard IS–641, und
  • 6.7 kbit/s  – die EFR–Sprachübertragung des japanischen PDC–Mobilfunkstandards.


Die folgenden Beschreibungen beziehen sich meist auf den Modus mit  12.2 kbit/s.

Zusammenstellung der AMR–Parameter
  • Alle Vorgänger–Verfahren des AMR basieren auf der Minimierung des Prädiktionsfehlersignals durch eine Vorwärtsprädiktion in den Teilschritten LPC, LTP und RPE.
  • Im Gegensatz dazu verwendet der AMR-Codec eine Rückwärtsprädiktion gemäß dem Prinzip „Analyse durch Synthese”. Dieses Codierungsprinzip bezeichnet man auch als  Algebraic Code Excited Linear Prediction  (ACELP).


In der Tabelle sind die Parameter des Adaptive Multi–Rate Codecs für zwei Modi zusammengestellt:

  •   244  Bit pro  20 ms   ⇒   Modus  12.2 kbit/s,
  •   95  Bit pro  20 ms   ⇒   Modus  4.75 kbit/s.


Algebraic Code Excited Linear Prediction


Die Grafik zeigt den auf  ACELP  basierenden  AMR-Codec. Es folgt eine kurze Beschreibung des Prinzips. Eine detaillierte Beschreibung finden Sie zum Beispiel in  [Kai05][1].

Algebraic Code Excited Linear Prediction – Prinzip
  • Das Sprachsignal  s(n), wie beim GSM–Vollraten–Sprachcodec mit  8 kHz  abgetastet und mit  13  Bit quantisiert, wird vor der weiteren Verarbeitung in Rahmen  sR(n)  mit  n=1, ... , 160  bzw. in Subblöcke  si(l)  mit  i=1,2,3,4  und  l=1, ... , 40  segmentiert.
  • Die Berechnung der LPC–Koeffizienten erfolgt im rot hinterlegten Block rahmenweise alle  20 ms  entsprechend  160  Abtastwerten, da innerhalb dieser kurzen Zeitspanne die spektrale Einhüllende des Sprachsignal  sR(n)  als konstant angesehen werden kann.
  • Zur LPC–Analyse wird meist ein Filter  A(z)  der Ordnung  10  gewählt. Beim höchstratigen Modus mit  12.2 kbit/s  werden die aktuellen Koeffizienten  ak (k=1, ... , 10)  der Kurzzeitprädiktion alle  10 ms  quantisiert, codiert und beim gelb hinterlegten Punkt 1 zur Übertragung bereitgestellt.
  • Die weiteren Schritte des AMR werden alle  5 ms  entsprechend den  40  Abtastwerten der Signale  si(l)  durchgeführt. Die Langzeitprädiktion (LTP) – im Bild blau umrandet – ist hier als adaptives Codebuch realisiert, in dem die Abtastwerte der vorangegangenen Subblöcke eingetragen sind.
  • Für die Langzeitprädiktion (LTP) wird zunächst die Verstärkung  GFCB  für das  Fixed Code Book  (FCB) zu Null gesetzt, so dass eine Folge von  40  Samples des adaptiven Codebuchs am Eingang  ui(l)  des durch die LPC festgelegten Sprachtraktfilters  A(z)^{–1}  anliegen. Der Index  i  bezeichnet den betrachteten Subblock.
  • Durch Variation der beiden LTP–Parameter  N_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  und  G_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  soll für diesen  i–ten Subblock erreicht werden, dass der quadratische Mittelwert – also die mittlere Leistung – des gewichteten Fehlersignals  w_i(l)  minimal wird.
  • Das Fehlersignal  w_i(l)  ist gleich der Differenz zwischen dem aktuellen Sprachrahmen  s_i(l)  und dem Ausgangssignal  y_i(l)  des so genannten Sprachtraktfilters bei Anregung mit  u_i(l), unter Berücksichtigung des Wichtungsfilters  W(z)  zur Anpassung an die Spektraleigenschaften des menschlichen Gehörs.
  • In anderen Worten:   W(z)  entfernt solche spektralen Anteile im Signal  e_i(l), die von einem „durchschnittlichen” Ohr nicht wahrgenommen werden. Beim Modus  12.2 \ \rm kbit/s  verwendet man  W(z) = A(z/γ_1)/A(z/γ_2)  mit konstanten Faktoren  γ_1 = 0.9  und  γ_2 = 0.6.
  • Für jeden Subblock kennzeichnet  N_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  die bestmögliche LTP–Verzögerung, die zusammen mit der LTP–Verstärkung  G_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  nach Mittelung bezüglich  l = 1, ... , 40  den quadratischen Fehler  \text{E}[w_i(l)^2]  minimiert. Gestrichelte Linien kennzeichnen Steuerleitungen zur iterativen Optimierung.
  • Man bezeichnet die beschriebene Vorgehensweise als  Analyse durch Synthese. Nach einer ausreichend großen Anzahl an Iterationen wird der Subblock  u_i(l)  in das adaptive Codebuch aufgenommen. Die ermittelten LTP–Parameter  N_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  und  G_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  werden codiert und zur Übertragung bereitgestellt.


Fixed Code Book – FCB


Spureinteilung beim ACELP-Sprachcodec

Nach der Ermittlung der besten adaptiven Anregung erfolgt die Suche nach dem besten Eintrag im festen Codebuch (Fixed Code Book, FCB).

  • Dieses liefert die wichtigste Information über das Sprachsignal.
  • Zum Beispiel werden beim  12.2 \ \rm kbit/s–Modus hieraus pro Subblock  40  Bit abgeleitet.
  • Somit gehen in jedem Rahmen von  20  Millisekunden  160/244 ≈ 65\%  der Codierung auf den im Bild auf der letzten Seite grün umrandeten Block zurück.


Das Prinzip lässt sich anhand der Grafik in wenigen Stichpunkten wie folgt beschreiben:

  • Im festen Codebuch kennzeichnet jeder Eintrag einen Puls, bei dem genau  10  der  40  Positionen mit  +1  bzw.  -1  belegt sind. Erreicht wird dies gemäß der Grafik durch fünf Spuren mit jeweils acht Positionen, von denen genau zwei die Werte  ±1  aufweisen und alle anderen Null sind.
  • Ein roter Kreis in obiger Grafik  (an den Positionen  2,\ 11,\ 26,\ 30,\ 38)  kennzeichnet eine  +1  und ein blauer eine  -1  (im Beispiel bei  13,\ 17,\ 19,\ 24,\ 35). In jeder Spur werden die beiden belegten Positionen mit lediglich je drei Bit codiert (da es nur acht mögliche Positionen gibt).
  • Für das Vorzeichen wird ein weiteres Bit verwendet, welches das Vorzeichen des erstgenannten Impulses definiert. Ist die Pulsposition des zweiten Impulses größer als die des ersten, so hat der zweite Impuls das gleiche Vorzeichen wie der erste, ansonsten das entgegengesetzte.
  • In der ersten Spur des obigen Beispiels gibt es positive Pulse auf Position  2 \ (010)  und Position  5 \ (101), wobei die Positionszählung bei  0  beginnt. Diese Spur ist also gekennzeichnet durch die Positionen  010  und  101  sowie das Vorzeichen  1  (positiv).
  • Die Kennzeichnung für die zweite Spur lautet:   Positionen  011  und  000, Vorzeichen  0. Da hier die Pulse an Position  0  und  3  unterschiedliche Vorzeichen haben, steht  011  vor  000. Das Vorzeichen 0   ⇒   negativ bezieht sich auf den Puls an der erstgenannten Position  3.
  • Ein jeder Puls – bestehend aus  40  Impulsen, von denen allerdings  30  das Gewicht „Null” besitzen – ergibt ein stochastisches, rauschähnliches Akustiksignal, das nach Verstärkung mit  G_{{\rm LTP},\hspace{0.05cm}i}  und Formung durch das LPC–Sprachtraktfilter  A(z)^{–1}  den Sprachrahmen  s_i(l)  approximiert.


Aufgaben zum Kapitel


Aufgabe 3.5: GSM–Vollraten–Sprachcodec

Aufgabe 3.6: Adaptive Multi–Rate Codec

Quellenverzeichnis

  1. Hochspringen nach: 1,0 1,1 1,2 1,3 Kaindl, M.: Kanalcodierung für Sprache und Daten in GSM-Systemen. Dissertation. Lehrstuhl für Nachrichtentechnik, TU München. VDI Fortschritt-Berichte, Reihe 10, Nr. 764, 2005.
  2. Hindelang, T.: Source-Controlled Channel Decoding and Decoding for Mobile Communications. Dissertation. Lehrstuhl für Nachrichtentechnik, TU München. VDI Fortschritt-Berichte, Reihe 10, Nr. 695, 2002.